Gut Rheinau

Hofportrait: Einer der grössten landwirtschaftlichen Betriebe der Schweiz. Durch eine Gruppe
Menschen mit der gleichen Vision wurde hier auf biodynamische Landwirtschaft umgestellt.
Mit harter Arbeit haben die Bauern es geschafft das Bodenleben wieder zurückzubringen.

Gut Rheinau liegt in der Nähe der Stadt Schaffhausen im Kanton Zürich und an einer
schwungvollen Schlaufe des Rheins. In einigen Kilometern Entfernung der Rheinfall,
wo der Strom auf einer Breite von einhundertfünfzig Metern über zwanzig Meter in die
Tiefe fällt, was ihn zu einem der grössten Wasserfälle Europas macht.
Das Klima ist mild und trocken, der Boden ein sandiger Lehmboden mit hohem Kies-
und Steinanteil. Trotz einem durchschnittlichen Humusgehalt zwischen drei und vier
Prozent ist der Boden extrem austrocknungsgefährdet, was eine konsequente
Bewässerung allerKulturen erforderlich macht. Durch weiteren Humusaufbau soll die
Notwendigkeit der künstlichen Bewässerung in Zukunft mehr und mehr reduziert
werden.

 DSC5742 Anna

Von «konventionell» auf Bio

Der Hof wurde bis vor etwa zwanzig Jahren konventionell bewirtschaftet. Dann verpachtete der Kanton
Zürich seinen grössten und schönsten Landwirtschaftsbetrieb an eine Gruppe von Menschen aus
verschiedenen Berufsfeldern, die eine gemeinsame Vision hatten: Im Einklang mit der Natur leben,
gesunde Lebensmittel produzieren, sozialtherapeutisch wirksam werden und als Gesellschaft dadurch stark werden, dass man die Schwachen mitnimmt und auch dadurch, dass man sich die individuelle Entwicklung aller zum Anliegen macht. Martin und Annigna Ott sowie Hans und Lotti Braunwalder übernahmen die Verantwortung für die Landwirtschaft und begannen mit ihrem Lebenswerk:
Der Umstellung einer der grössten landwirtschaftlichen Betriebe in der Schweiz auf biodynamische Landwirtschaft.

In dem Buch «Das Gift und Wir» beschreiben die beiden Biobauern diesen Prozess der Umstellung
sehr detailliert und konkret und damit aufschlussreich. Denn sie wurden vorübergehend zu
«konventionellen» Bauern, da sie bei der Übernahme eine Reihe von Verträgen mit übernehmen mussten. So lernten sie das «konventionelle» System von innen her kennen und stellten fest, dass für die bäuerliche Selbstbestimmung hier nicht viel Platz ist. Wer die Beschreibungen im Buch liesst, kann den Eindruck gewinnen, dass das industrielle Denken und Organisieren der verschiedenen Kunden und Zulieferer den Hof praktisch übernommen hatte. Alle Entscheidungen waren vollständig ausgegliedert und die Bauern hatten zu funktionieren als wären sie Teil des Maschinenparks. Unangemeldet stand plötzlich der Tierarzt im Kuhstall und machte sich an den Kühen zu schaffen, ohne dies vorher abzusprechen. Im Spinatfeld sahen die Bauern plötzlich einen Mann im weissen Anzug herumgehen, der einen Kanister hinterliess mit genauen Befehlen, «wie, wo und in welcher Verdünnung dieses Mittel in den Spinatacker zu bringen sei.»
Ihnen wurde durch diese Erfahrungen klar, weshalb sich so viele Bauern, einmal über längere Zeit in diesem System gefangen, eine Welt ohne Pestizide und andere Produkte der Agrarchemie nicht mehr vorstellen können. Also begannen sie mit der Rückeroberung der «bäuerlichen Gestaltungshoheit» und holten sich alle «professio-nellen» Entscheidungen Schritt für Schritt zurück.
Von Anfang an war das Ziel, den Hof in eine vielfältige Agrarlandschaft zu verwandeln, um möglichst vielen verschiedenen Lebewesen einen Lebensraum zu ermöglichen:

«Was wir ganz am Anfang konsequent und mit viel Energie durchsetzten, war ein System von Hecken, Bäumen, Magerwiesen anzubauen, mit dem Ziel, dieses Netz so über die Erde zu verteilen, dass ein Vogel oder ein Insekt auf dem ganzen Hof innerhalb von dreissig oder vierzig Metern einen Rückzugsort findet, und sich von Hecke zu Baum, von Magerwiese zu Blühstreifen bewegen kann»,
– Martin Ott.

GutRBlumenfeld

… und was daran schwierig war

Es traten bei der Umstellung eine ganze Reihe von Schwierigkeiten und Herausforderungen auf, bei der Gesundheit der Kühe zum Beispiel, aber auch bei der Belebung des Bodens. Der hatte vollständig die Fähigkeit verloren, organische Substanz umzuwandeln.
Als Hans Braunwalder den oben erwähnten Spinatacker umpflügte, sah er den ganzen Tag über keinen einzigen Wurm. Aus 25 Zentimetern Tiefe kamen völlig intakte Zuckerrüben zum Vorschein, die zwei Jahre vorher angebaut wurden.
Die Agrarchemie und ihre bäuerlichen Helfer hatten offenbar in der Vergangenheit wenig Rücksicht auf das Bodenleben genommen, dieses vielmehr nahezu vollständig zerstört. An die Stelle natürlicher Bodenfunktionen war eine maximale Abhängigkeit von künstlichem Stickstoffdünger und synthetischen Pestiziden entstanden. Eine ideale Situation sozusagen – zumindest aus Sicht der Agrarchemie.
Das Bodenleben zurückzubringen wurde zu einer herausfordernden Aufgabe. Zunächst wurde eine fünfhundert Meter lange Kompostmiete angelegt. Aber der Kompost konnte sich anfangs schwer mit dem Boden an diesem eher trockenen Standort verbinden. Und so gingen die Biobauern dazu über, den Kompost mit Gründüngungen flach in den Boden einzuarbeiten. Zunächst gingen die Erträge zurück, im Getreide, bei den Kartoffeln und im Futterbau. Aber nach einigen Jahren wuchs auf der grossen Naturwiese wieder Rotklee, nicht nur die fetten Gräser. Und so nahm die Heumenge wieder zu. Insgesamt stiegen die Erträge im Verhältnis zur Gesundung des Bodens nach und nach.

Freude an der Vielfalt

Durch das komplexe Netzwerk aus Bäumen, Sträuchern und Hecken sind viele Vögel und Insekten nach Gut Rheinau zurückgekehrt. Sie finden dort Rückzugsräume.

«Der Hof hat heute über die Vielfalt begonnen, sich selber schöner zu besingen»,
– Martin Ott.

Die Begeisterung für Vielfalt und deren Förderung zeigt sich in allen Bereichen und sie wirkt sich gleichzeitig positiv auf das Betriebsergebnis aus, zum Beispiel bei den Kühen, unter denen es Schweizer Fleckvieh, reine Simmenthaler, Original Braunvieh, Eringer, schwarzbunte Holsteiner und alle möglichen Kreuzungen gibt.
Ein Teil der Kühe verbringt den Sommer auf der Alp Walop im Simmental, die zum Betrieb gehört. Einige Schweine und Ziegen dürfen dann auch mit hinauf. Von dort wird im Herbst der Käse ins Tal gebracht und schliesslich auf Gut Rheinau bis zur Genussreife gepflegt.
Auch bei den fünfhundert Hochstamm-Apfelbäumen und beim Wein, sowie beim Gemüse und Getreide zeigt sich die Vielfalt.

GutRZiegen

Vielfalt als Ernteausfallversicherung

Inzwischen haben Moritz Ehrismann und David Jacobsen die Verantwortung für den Acker- und Feingemüsebau übernommen. Ihre Erfahrungen zeigen, dass die Vielfalt den Betrieb vor grösseren Schädlingsproblemen und wetterbedingten Ertragsausfällen schützt, sich also positiv auf das Betriebsergebnis auswirkt.
Auf Gut Rheinau werden auf vier Hektar über vierzig verschiedene Gemüsesorten angebaut und auf gut siebzig Hektar Ackerfläche neben Hackfrüchten, Futter, Körnern und Leguminosen in elfjähriger Fruchtfolge zwölf verschiedene Getreidesorten.

«In sehr heissen, trockenen Sommern haben wir sehr gute Erträge bei Kulturen, welche die C4-Photosynthese machen können, aber auch bei anderen Pflanzen, die besonders gut mit starker und lange andauernder Sonneneinstrahlung umgehen können. Wir haben dann sehr gute Erträge bei Mais, Auberginen, Melonen, Trauben und Hirse. In regenreichen, eher kühlen Sommern wächst dagegen eigentlich alles sehr gut, was in der Mittelmeerregion im Winter angebaut wird, also zum Beispiel Kohl, Zuckererbsen, überhaupt Erbsen, Radieschen, Fenchel, Spinat»,
– David Jacobsen, verantwortlich für Feingemüseanbau.

«Wenn man bei uns die Buchhaltung der letzten zehn Jahre anschaut, dann kann man sehen, dass da eigentlich immer ein Ausgleich erreicht wird. Da gibt es beim Gesamtumsatz kaum Schwankungen, selbst die Dürre 2018 haben wir finanziell kaum gemerkt. Da wurde viel durch die Rekordernte bei den Trauben ausgeglichen»,

-Moritz Ehrismann, verantwortlich für den Ackerbau.

Vielfalt im Gleichgewicht

Wenn Bauern und Gärtner über agrarökologische Kenntnisse verfügen und diese praktisch anwenden, dann können sie der Natur dabei helfen, dasjenige zu erreichen, was sie von sich aus sowieso immer anstrebt: innerhalb ihrer Lebenswelten Einseitigkeiten auszugleichen und in Gleichgewichtszustände zu bringen.

 «Viele Schädlingsprobleme treten bei uns gar nicht erst auf, wegen des präventiven Ansatzes»,
– David Jacobsen.

Aber was heisst das konkret?
Längst wurde wissenschaftlich bewiesen, dass durch Vielfalt im Gemüsebeet (Mischkultur) und im zeitlichen Verlauf (Fruchtfolgen) der Schädlingsdruck gesenkt werden kann. Das sind typische präventive Massnahmen, die auch auf Gut Rheinau praktiziert werden. Daneben wird darauf geachtet, dass die Nützlinge Zugriff haben zu den Gemüsebeeten. Das wird durch Blühstreifen zwischen den Gemüsebeeten erreicht und dadurch, dass die Gemüsebeete nicht breiter als 1.5–3 Meter sind. Vielfalt als Schutz vor Schädlingsbefall beginnt aber schon beim Saatgut.

«Wir machen ja Vermehrung für biologisch-dynamisch zertifiziertes Bio-Saatgut und arbeiten bei der Züchtung und Vermehrung mit der Sativa AG zusammen. In der Züchtung geht es ja auch immer um Resistenzen»,
– David Jacobsen.

GutRSalat

Konventionelles Hybridsaatgut der gleichen Sorte hat zu hundert Prozent die gleiche Genetik. Wenn Schädlinge sich weiter entwickeln, was sie fortwährend tun, und Resistenzen gegen synthetische Pestizide entwickeln, oder Resistenzen der Pflanzen durchbrechen, dann erfordert das immer mehr und oft auch immer giftigeres Gift, oder es ist gleich der ganze Bestand gefährdet.
Beim samenfesten Biosaatgut ist das nicht so. Da gibt es eine gewisse genetische Vielfalt innerhalb der gleichen Sorte. Das ist auch Zuchtziel, weil die genetische Vielfalt dazu führt, dass immer nur einige Pflanzen von einem bestimmten Schädlingsbefall auf dem Acker oder dem Gemüsebeet betroffen sind.
Im Ackerbau bewegt sich der Schädlingsbefall auf tragbarem Niveau. Da wird nur mechanische Unkrautbekämpfung gemacht. Im Gemüseanbau gelingt die Schädlingsregulierung durch den präventiven Ansatz in Kombination mit den Massnahmen, die im biodynamischen Landbau erlaubt sind, im grossen und ganzen gut. Probleme gibt es aber nach wie vor bei den Kartoffeln mit der Krautfäule. Die Hälfte ihrer Kartoffeln werden inzwischen vom Nachbarn angebaut, weil sich dessen Boden besser für Kartoffeln eignet. Für die übrigen Kartoffeln wird versucht darauf hinzuarbeiten, dass so schnell wie möglich kräftige gesunde Pflanzen wachsen. Wenn die Krautfäule dann später doch noch kommt, richtet sie keinen so grossen Schaden mehr an.
Die Strategie hierfür ist, den exakt richtigen Zeitpunkt zum Setzen zu erwischen. Danach arbeiten die Kartoffelbauern mit kleinen Dämmen, damit das Wasser besser abfliessen kann und der Boden schnell warm wird. Die Dämme werden dann in drei Stufen mit dem Wachstum der Pflanzen immer mehr angehäufelt. Diese Strategie funktioniert einigermassen gut. Was dann noch an Ernteverlusten auftritt, müssen die anderen Kulturen auffangen, von denen es ja viele gibt. Denn ganz will man auf den Kartoffelanbau nicht verzichten.

Das Fintan–Projekt

Im Laufe der Jahre entwickelten sich aus dem gesundenden Umfeld der Landwirtschaft von Gut Rheinau eine Reihe von Verarbeitungs-, Saatgut-, Sozial-, Kunst- und Bildungsbetrieben, die heute jährlich zusammen zwanzig Millionen Franken erwirtschaften. Diese Betriebe haben sich unter dem Dach der Stiftung Fintan zusammengefunden, teilweise als Fintan-Betriebe mit engen vertraglichen Bindungen so wie Gut Rheinau und teilweise als Fintan-Partnerbetriebe mit einer eher lockeren Zusammenarbeit mit der Stiftung. Das Fintan–Projekt ist ein praxisbezogenes Projekt, bei dem ökologisch nachhaltige und tierwohlorientierte Landwirtschaft, sonstige innovative Lösungen und zukunftsfähige Gemeinschafts- und Gesellschaftsbildung geübt und umgesetzt werden. Aus dieser Intention gehen immer wieder neue Initiativen und Projekte hervor.

POT

Ein neueres Projekt von Gut Rheinau zusammen mit Partnern heisst zum Beispiel POT. Dieses Projekt will eine praktische Antwort auf die Frage geben, wie in der Landwirtschaft existenzsichernde Löhne gezahlt, eine regenerative Bodenbearbeitung gewährleistet und ein umfassend nachhaltiger Anbau ermöglicht werden kann. Basis hierfür bildet eine gemeinschaftlich getragene Landwirtschaft, verbunden mit einem Quartierdepot mit Lebensmitteln und angegliederter Quartierküche. Das Quartierdepot ist 7 Tage 24 Stunden für Mitglieder zugänglich und stellt die 250 wichtigsten Grundnahrungsmittel verpackungsarm bereit. Die Quartierküche kocht aus den Lebensmitteln und den Überschüssen des Depots und Hofes täglich Menüs, die entweder vor Ort oder zu Hause genossen werden können.
Dies ermöglicht die vollumfängliche Verwertung aller Lebensmittel und verhindert die Entstehung von Foodwaste.
Zusammen mit Bachsermärt, einer kleinen Lebensmittelkette, sollen in den nächsten Jahren mehrere POTs an unterschiedlichen Standorten in Zürich entstehen. Ziel ist, dass jeweils genügend Mitglieder und Kunden in Fussdistanz gefunden werden. Gut Rheinau entwickelt auf diese Weise seine Beziehungen zu Geschäftspartnern und den Endverbrauchern weiter.
Vor der Umstellung auf bio-dynamisch wurde Gut Rheinau defizitär bewirtschaftet, was heute nicht mehr der Fall ist. Im Gegenteil: Der Staat erhält eine viertel Million CHF an Pacht pro Jahr für Ländereien und Gebäude.
Ein anderer Erfolgsfaktor ist die Entstehung einer eindrucksvollen Anzahl von sinnvollen Arbeitsplätzen. Als der Hof noch «konventionell» bewirtschaftet wurde, arbeiteten dort zwölf kantonale Angestellte, inzwischen sind für gut fünfunddreissig Menschen in der engeren Landwirtschaft Arbeitsplätze entstanden. Alle Betriebe zusammen beschäftigen heute hundertfünfzig Mitarbeiter.

Wir wünschen Gut Rheinau und dem Projekt Fintan viel Freude, Mut und Begeisterung auf ihrem weiteren Weg und eine erfreuliche und dynamische Entwicklung in die Zukunft.

GutRFeld

Autor: Christopher Schümann

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Gut Rheinau

Hofportrait: Einer der grössten landwirtschaftlichen Betriebe der Schweiz. Durch eine Gruppe
Menschen mit der gleichen Vision wurde hier auf biodynamische Landwirtschaft umgestellt.
Mit harter Arbeit haben die Bauern es geschafft das Bodenleben wieder zurückzubringen.

Gut Rheinau liegt in der Nähe der Stadt Schaffhausen im Kanton Zürich und an einer
schwungvollen Schlaufe des Rheins. In einigen Kilometern Entfernung der Rheinfall,
wo der Strom auf einer Breite von einhundertfünfzig Metern über zwanzig Meter in die
Tiefe fällt, was ihn zu einem der grössten Wasserfälle Europas macht.
Das Klima ist mild und trocken, der Boden ein sandiger Lehmboden mit hohem Kies-
und Steinanteil. Trotz einem durchschnittlichen Humusgehalt zwischen drei und vier
Prozent ist der Boden extrem austrocknungsgefährdet, was eine konsequente
Bewässerung allerKulturen erforderlich macht. Durch weiteren Humusaufbau soll die
Notwendigkeit der künstlichen Bewässerung in Zukunft mehr und mehr reduziert
werden.

 DSC5742 Anna

Von «konventionell» auf Bio

Der Hof wurde bis vor etwa zwanzig Jahren konventionell bewirtschaftet. Dann verpachtete der Kanton
Zürich seinen grössten und schönsten Landwirtschaftsbetrieb an eine Gruppe von Menschen aus
verschiedenen Berufsfeldern, die eine gemeinsame Vision hatten: Im Einklang mit der Natur leben,
gesunde Lebensmittel produzieren, sozialtherapeutisch wirksam werden und als Gesellschaft dadurch stark werden, dass man die Schwachen mitnimmt und auch dadurch, dass man sich die individuelle Entwicklung aller zum Anliegen macht. Martin und Annigna Ott sowie Hans und Lotti Braunwalder übernahmen die Verantwortung für die Landwirtschaft und begannen mit ihrem Lebenswerk:
Der Umstellung einer der grössten landwirtschaftlichen Betriebe in der Schweiz auf biodynamische Landwirtschaft.

In dem Buch «Das Gift und Wir» beschreiben die beiden Biobauern diesen Prozess der Umstellung
sehr detailliert und konkret und damit aufschlussreich. Denn sie wurden vorübergehend zu
«konventionellen» Bauern, da sie bei der Übernahme eine Reihe von Verträgen mit übernehmen mussten. So lernten sie das «konventionelle» System von innen her kennen und stellten fest, dass für die bäuerliche Selbstbestimmung hier nicht viel Platz ist. Wer die Beschreibungen im Buch liesst, kann den Eindruck gewinnen, dass das industrielle Denken und Organisieren der verschiedenen Kunden und Zulieferer den Hof praktisch übernommen hatte. Alle Entscheidungen waren vollständig ausgegliedert und die Bauern hatten zu funktionieren als wären sie Teil des Maschinenparks. Unangemeldet stand plötzlich der Tierarzt im Kuhstall und machte sich an den Kühen zu schaffen, ohne dies vorher abzusprechen. Im Spinatfeld sahen die Bauern plötzlich einen Mann im weissen Anzug herumgehen, der einen Kanister hinterliess mit genauen Befehlen, «wie, wo und in welcher Verdünnung dieses Mittel in den Spinatacker zu bringen sei.»
Ihnen wurde durch diese Erfahrungen klar, weshalb sich so viele Bauern, einmal über längere Zeit in diesem System gefangen, eine Welt ohne Pestizide und andere Produkte der Agrarchemie nicht mehr vorstellen können. Also begannen sie mit der Rückeroberung der «bäuerlichen Gestaltungshoheit» und holten sich alle «professio-nellen» Entscheidungen Schritt für Schritt zurück.
Von Anfang an war das Ziel, den Hof in eine vielfältige Agrarlandschaft zu verwandeln, um möglichst vielen verschiedenen Lebewesen einen Lebensraum zu ermöglichen:

«Was wir ganz am Anfang konsequent und mit viel Energie durchsetzten, war ein System von Hecken, Bäumen, Magerwiesen anzubauen, mit dem Ziel, dieses Netz so über die Erde zu verteilen, dass ein Vogel oder ein Insekt auf dem ganzen Hof innerhalb von dreissig oder vierzig Metern einen Rückzugsort findet, und sich von Hecke zu Baum, von Magerwiese zu Blühstreifen bewegen kann»,
– Martin Ott.

GutRBlumenfeld

… und was daran schwierig war

Es traten bei der Umstellung eine ganze Reihe von Schwierigkeiten und Herausforderungen auf, bei der Gesundheit der Kühe zum Beispiel, aber auch bei der Belebung des Bodens. Der hatte vollständig die Fähigkeit verloren, organische Substanz umzuwandeln.
Als Hans Braunwalder den oben erwähnten Spinatacker umpflügte, sah er den ganzen Tag über keinen einzigen Wurm. Aus 25 Zentimetern Tiefe kamen völlig intakte Zuckerrüben zum Vorschein, die zwei Jahre vorher angebaut wurden.
Die Agrarchemie und ihre bäuerlichen Helfer hatten offenbar in der Vergangenheit wenig Rücksicht auf das Bodenleben genommen, dieses vielmehr nahezu vollständig zerstört. An die Stelle natürlicher Bodenfunktionen war eine maximale Abhängigkeit von künstlichem Stickstoffdünger und synthetischen Pestiziden entstanden. Eine ideale Situation sozusagen – zumindest aus Sicht der Agrarchemie.
Das Bodenleben zurückzubringen wurde zu einer herausfordernden Aufgabe. Zunächst wurde eine fünfhundert Meter lange Kompostmiete angelegt. Aber der Kompost konnte sich anfangs schwer mit dem Boden an diesem eher trockenen Standort verbinden. Und so gingen die Biobauern dazu über, den Kompost mit Gründüngungen flach in den Boden einzuarbeiten. Zunächst gingen die Erträge zurück, im Getreide, bei den Kartoffeln und im Futterbau. Aber nach einigen Jahren wuchs auf der grossen Naturwiese wieder Rotklee, nicht nur die fetten Gräser. Und so nahm die Heumenge wieder zu. Insgesamt stiegen die Erträge im Verhältnis zur Gesundung des Bodens nach und nach.

Freude an der Vielfalt

Durch das komplexe Netzwerk aus Bäumen, Sträuchern und Hecken sind viele Vögel und Insekten nach Gut Rheinau zurückgekehrt. Sie finden dort Rückzugsräume.

«Der Hof hat heute über die Vielfalt begonnen, sich selber schöner zu besingen»,
– Martin Ott.

Die Begeisterung für Vielfalt und deren Förderung zeigt sich in allen Bereichen und sie wirkt sich gleichzeitig positiv auf das Betriebsergebnis aus, zum Beispiel bei den Kühen, unter denen es Schweizer Fleckvieh, reine Simmenthaler, Original Braunvieh, Eringer, schwarzbunte Holsteiner und alle möglichen Kreuzungen gibt.
Ein Teil der Kühe verbringt den Sommer auf der Alp Walop im Simmental, die zum Betrieb gehört. Einige Schweine und Ziegen dürfen dann auch mit hinauf. Von dort wird im Herbst der Käse ins Tal gebracht und schliesslich auf Gut Rheinau bis zur Genussreife gepflegt.
Auch bei den fünfhundert Hochstamm-Apfelbäumen und beim Wein, sowie beim Gemüse und Getreide zeigt sich die Vielfalt.

GutRZiegen

Vielfalt als Ernteausfallversicherung

Inzwischen haben Moritz Ehrismann und David Jacobsen die Verantwortung für den Acker- und Feingemüsebau übernommen. Ihre Erfahrungen zeigen, dass die Vielfalt den Betrieb vor grösseren Schädlingsproblemen und wetterbedingten Ertragsausfällen schützt, sich also positiv auf das Betriebsergebnis auswirkt.
Auf Gut Rheinau werden auf vier Hektar über vierzig verschiedene Gemüsesorten angebaut und auf gut siebzig Hektar Ackerfläche neben Hackfrüchten, Futter, Körnern und Leguminosen in elfjähriger Fruchtfolge zwölf verschiedene Getreidesorten.

«In sehr heissen, trockenen Sommern haben wir sehr gute Erträge bei Kulturen, welche die C4-Photosynthese machen können, aber auch bei anderen Pflanzen, die besonders gut mit starker und lange andauernder Sonneneinstrahlung umgehen können. Wir haben dann sehr gute Erträge bei Mais, Auberginen, Melonen, Trauben und Hirse. In regenreichen, eher kühlen Sommern wächst dagegen eigentlich alles sehr gut, was in der Mittelmeerregion im Winter angebaut wird, also zum Beispiel Kohl, Zuckererbsen, überhaupt Erbsen, Radieschen, Fenchel, Spinat»,
– David Jacobsen, verantwortlich für Feingemüseanbau.

«Wenn man bei uns die Buchhaltung der letzten zehn Jahre anschaut, dann kann man sehen, dass da eigentlich immer ein Ausgleich erreicht wird. Da gibt es beim Gesamtumsatz kaum Schwankungen, selbst die Dürre 2018 haben wir finanziell kaum gemerkt. Da wurde viel durch die Rekordernte bei den Trauben ausgeglichen»,

-Moritz Ehrismann, verantwortlich für den Ackerbau.

Vielfalt im Gleichgewicht

Wenn Bauern und Gärtner über agrarökologische Kenntnisse verfügen und diese praktisch anwenden, dann können sie der Natur dabei helfen, dasjenige zu erreichen, was sie von sich aus sowieso immer anstrebt: innerhalb ihrer Lebenswelten Einseitigkeiten auszugleichen und in Gleichgewichtszustände zu bringen.

 «Viele Schädlingsprobleme treten bei uns gar nicht erst auf, wegen des präventiven Ansatzes»,
– David Jacobsen.

Aber was heisst das konkret?
Längst wurde wissenschaftlich bewiesen, dass durch Vielfalt im Gemüsebeet (Mischkultur) und im zeitlichen Verlauf (Fruchtfolgen) der Schädlingsdruck gesenkt werden kann. Das sind typische präventive Massnahmen, die auch auf Gut Rheinau praktiziert werden. Daneben wird darauf geachtet, dass die Nützlinge Zugriff haben zu den Gemüsebeeten. Das wird durch Blühstreifen zwischen den Gemüsebeeten erreicht und dadurch, dass die Gemüsebeete nicht breiter als 1.5–3 Meter sind. Vielfalt als Schutz vor Schädlingsbefall beginnt aber schon beim Saatgut.

«Wir machen ja Vermehrung für biologisch-dynamisch zertifiziertes Bio-Saatgut und arbeiten bei der Züchtung und Vermehrung mit der Sativa AG zusammen. In der Züchtung geht es ja auch immer um Resistenzen»,
– David Jacobsen.

GutRSalat

Konventionelles Hybridsaatgut der gleichen Sorte hat zu hundert Prozent die gleiche Genetik. Wenn Schädlinge sich weiter entwickeln, was sie fortwährend tun, und Resistenzen gegen synthetische Pestizide entwickeln, oder Resistenzen der Pflanzen durchbrechen, dann erfordert das immer mehr und oft auch immer giftigeres Gift, oder es ist gleich der ganze Bestand gefährdet.
Beim samenfesten Biosaatgut ist das nicht so. Da gibt es eine gewisse genetische Vielfalt innerhalb der gleichen Sorte. Das ist auch Zuchtziel, weil die genetische Vielfalt dazu führt, dass immer nur einige Pflanzen von einem bestimmten Schädlingsbefall auf dem Acker oder dem Gemüsebeet betroffen sind.
Im Ackerbau bewegt sich der Schädlingsbefall auf tragbarem Niveau. Da wird nur mechanische Unkrautbekämpfung gemacht. Im Gemüseanbau gelingt die Schädlingsregulierung durch den präventiven Ansatz in Kombination mit den Massnahmen, die im biodynamischen Landbau erlaubt sind, im grossen und ganzen gut. Probleme gibt es aber nach wie vor bei den Kartoffeln mit der Krautfäule. Die Hälfte ihrer Kartoffeln werden inzwischen vom Nachbarn angebaut, weil sich dessen Boden besser für Kartoffeln eignet. Für die übrigen Kartoffeln wird versucht darauf hinzuarbeiten, dass so schnell wie möglich kräftige gesunde Pflanzen wachsen. Wenn die Krautfäule dann später doch noch kommt, richtet sie keinen so grossen Schaden mehr an.
Die Strategie hierfür ist, den exakt richtigen Zeitpunkt zum Setzen zu erwischen. Danach arbeiten die Kartoffelbauern mit kleinen Dämmen, damit das Wasser besser abfliessen kann und der Boden schnell warm wird. Die Dämme werden dann in drei Stufen mit dem Wachstum der Pflanzen immer mehr angehäufelt. Diese Strategie funktioniert einigermassen gut. Was dann noch an Ernteverlusten auftritt, müssen die anderen Kulturen auffangen, von denen es ja viele gibt. Denn ganz will man auf den Kartoffelanbau nicht verzichten.

Das Fintan–Projekt

Im Laufe der Jahre entwickelten sich aus dem gesundenden Umfeld der Landwirtschaft von Gut Rheinau eine Reihe von Verarbeitungs-, Saatgut-, Sozial-, Kunst- und Bildungsbetrieben, die heute jährlich zusammen zwanzig Millionen Franken erwirtschaften. Diese Betriebe haben sich unter dem Dach der Stiftung Fintan zusammengefunden, teilweise als Fintan-Betriebe mit engen vertraglichen Bindungen so wie Gut Rheinau und teilweise als Fintan-Partnerbetriebe mit einer eher lockeren Zusammenarbeit mit der Stiftung. Das Fintan–Projekt ist ein praxisbezogenes Projekt, bei dem ökologisch nachhaltige und tierwohlorientierte Landwirtschaft, sonstige innovative Lösungen und zukunftsfähige Gemeinschafts- und Gesellschaftsbildung geübt und umgesetzt werden. Aus dieser Intention gehen immer wieder neue Initiativen und Projekte hervor.

POT

Ein neueres Projekt von Gut Rheinau zusammen mit Partnern heisst zum Beispiel POT. Dieses Projekt will eine praktische Antwort auf die Frage geben, wie in der Landwirtschaft existenzsichernde Löhne gezahlt, eine regenerative Bodenbearbeitung gewährleistet und ein umfassend nachhaltiger Anbau ermöglicht werden kann. Basis hierfür bildet eine gemeinschaftlich getragene Landwirtschaft, verbunden mit einem Quartierdepot mit Lebensmitteln und angegliederter Quartierküche. Das Quartierdepot ist 7 Tage 24 Stunden für Mitglieder zugänglich und stellt die 250 wichtigsten Grundnahrungsmittel verpackungsarm bereit. Die Quartierküche kocht aus den Lebensmitteln und den Überschüssen des Depots und Hofes täglich Menüs, die entweder vor Ort oder zu Hause genossen werden können.
Dies ermöglicht die vollumfängliche Verwertung aller Lebensmittel und verhindert die Entstehung von Foodwaste.
Zusammen mit Bachsermärt, einer kleinen Lebensmittelkette, sollen in den nächsten Jahren mehrere POTs an unterschiedlichen Standorten in Zürich entstehen. Ziel ist, dass jeweils genügend Mitglieder und Kunden in Fussdistanz gefunden werden. Gut Rheinau entwickelt auf diese Weise seine Beziehungen zu Geschäftspartnern und den Endverbrauchern weiter.
Vor der Umstellung auf bio-dynamisch wurde Gut Rheinau defizitär bewirtschaftet, was heute nicht mehr der Fall ist. Im Gegenteil: Der Staat erhält eine viertel Million CHF an Pacht pro Jahr für Ländereien und Gebäude.
Ein anderer Erfolgsfaktor ist die Entstehung einer eindrucksvollen Anzahl von sinnvollen Arbeitsplätzen. Als der Hof noch «konventionell» bewirtschaftet wurde, arbeiteten dort zwölf kantonale Angestellte, inzwischen sind für gut fünfunddreissig Menschen in der engeren Landwirtschaft Arbeitsplätze entstanden. Alle Betriebe zusammen beschäftigen heute hundertfünfzig Mitarbeiter.

Wir wünschen Gut Rheinau und dem Projekt Fintan viel Freude, Mut und Begeisterung auf ihrem weiteren Weg und eine erfreuliche und dynamische Entwicklung in die Zukunft.

GutRFeld

Autor: Christopher Schümann

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