Neue EU-Bio-Verordnung und der Umgang mit Pestiziden
Eine Bezugnahme von Dr. sc. arg. Manon Haccius, aus der Perspektive der Wirtschaftsbeteiligten, zu einigen Aspekten zum Thema welche, in vorherigen Ausgaben des Magazins, erwähnt worden waren.
Ich habe die Ausführungen von Hanspeter Schmidt und von Alexander Gerber in den beiden vorigen Ausgaben dieses Magazins zur neuen EU-Bio-Verordnung mit Interesse gelesen. Ich möchte hier Bezug nehmen zu einigen Aspekten, die Alexander Gerber im Interview der letzten Ausgabe gesagt hat. Vorab ist mir wichtig, zweierlei zu betonen:
1. Nachdrücklich möchte ich die deutschen Bio-Verbände in ihrem Bemühen bestärken, sich mit den zuständigen Behörden in Deutschland auf eine sinnvolle Handhabung der neuen gesetzlichen
Regeln zu verständigen.
2. Ich spreche aus der Perspektive der Wirtschaftsbeteiligten, die tagtäglich Entscheidungen treffen und für konkret auftretende Herausforderungen Lösungen finden müssen. Ich möchte dazu beitragen, dass bereits heute bestehende und neu aufkommende Risiken richtig eingeschätzt werden können.
Schon heute beobachten wir das Phänomen, dass in Deutschland einige Öko-Kontrollbehörden im Falle eines Spurenfundes von chemischen Pflanzenschutzmitteln (PSM) in Öko-Produkten sehr kleinteilig, zuweilen willkürlich, über etliche Stufen zurück in der Wertschöpfungskette Nachforschungen anstellen (lassen). Ähnliches wurde mir auch aus anderen EU-Ländern berichtet. Auf diesen konkreten Erfahrungen beruhen die Sorgen, die einige Akteure der Branche, auch ich, mit Blick auf die Umsetzung der Anforderungen der neuen EU-Bio-Verordnung haben. Ich meine daher, dass man nach innen, also zu den Bio-Unternehmen hin, mit Blick auf deren angemessene Vorbereitung auf die neue EU-Bio-Verordnung keine verharmlosende und abwiegelnde Linie vertreten sollte. Meines Erachtens müssen sich die Bio-Unternehmen sehr sorgfältig auf ein «Worst-Case-Szenario» vorbreiten; und wenn es dann nicht so schlimm kommt, oder nicht in jedem einzelnen Fall so schlimm kommt, dann umso besser.
Nun etwas mehr ins Detail gehend:
Wie Herr Gerber im Interview sagt, muss der Bio-Unternehmer Vorsorge gegen Kontamination mit PSM-Spuren treffen. Er muss systematisch schauen, wo Risiken einer Kontamination bestehen. Dann muss er überlegen, wie er das steuern kann. Sodann muss er entsprechend handeln. Vor allem muss er gut dokumentieren, was er tut. Denn sonst gilt der «Grundsatz des Qualitätsmanagements»: wo nichts aufgeschrieben, nichts dokumentiert ist, da hat auch nichts stattgefunden.
Mein Eindruck ist, dass Bio-Unternehmen solche Dokumentationen bisher zu wenig vornehmen und dass die Kontrollstellen dies derzeit noch nicht systematisch prüfen. Dadurch sind Bio-Unternehmen für den Fall, dass PSM-Kontaminationen in ihren Produkten festgestellt werden, einem erheblichen Risiko ausgesetzt. Sie sollten daher schon jetzt entsprechende Dienstleistungen von ihren Bio-Kontrollstellen bei der Kontrolle einfordern. Es sollte bei der nächsten Bio-Kontrolle geklärt werden, ob die Anforderungen an Risikobeurteilung, Vorsorgemassnahmen und Dokumentation ausreichend erfüllt werden.
Wie Herr Gerber im Interview sagt, müssen nun auch die Bio-Bauern (nicht nur die Verarbeiter) solche systematischen Vorsorgemassnahmen ergreifen. Damit betreten die Bauern Neuland, und dazu erhalten sie im Moment noch zu wenig Hilfestellung. Das gilt im Prinzip überall auf der Erde, wo Bio-Produkte angebaut werden, die nach Europa verkauft werden. Auf die dokumentierten Vorsorgemassnahmen kommt es im Fall eines Befundes von PSM-Spuren durch hiesige Behörden entscheidend an.
«Pestizidspurenfunde in Bioprodukten sind kein ganz so seltenes Problem …
Das ist nicht verwunderlich, wenn man bedenkt, dass Rückstände von Pestiziden mittlerweile überall zu finden sind, sogar schon im Eis der Arktis.»
Die Vorsorgemassnahmen sollen laut neuer Bio-Verordnung verhältnismässig und angemessen sein. Jeder Bio-Unternehmer muss schriftlich festhalten, wie er zu seinen Massnahmen gekommen ist. Herr Gerber meinte, dass die Vorsorgemassnahmen nur solche zu sein brauchten, die dem Einfluss des Bio-Unternehmers unterliegen. Das findet sich zwar in Erwägungsgrund 24 im Vorspruch (Präambel) der neuen EU-Bio-Verordnung, aber nicht im regelnden Text. Das führt zu rechtlichen Unsicherheiten in der Praxis. Dieses Risiko sollte meines Erachtens klar benannt werden. Ich teile im übrigen nicht die Auffassung, dass es dem EU-Gesetzgeber vorrangig um Kontamination mit PSM-Spuren aus Parallelproduktion im eigenen Betrieb geht. Das steht nirgends im Gesetz.
Im Interview führte Herr Gerber ausführlich aus, dass wir ubiquitäres Vorkommen von PSM-Spuren aus Abdrift im erweiterten Sinne haben und dass zudem immer feinere Analysemethoden dies immer besser detektieren, was für den Verbraucherschutz gut ist, die Wirtschaftsbeteiligten aber vor besondere Herausforderungen stellt. Die gemeinsame Nutzung von Maschinen (z.B. zum Ernten), Transportgeräten und Lagereinrichtungen ist bezüglich Kontamination mit PSM-Spuren ein reales Risiko, zudem schwer zu steuern, weil es ja jeweils die ersten oder Randpartien sind, die betroffen sind. Eine Homogenisierung, also eine gleichmässige Durchmischung grosser Rohwarenpartien zur Verdünnung solcher möglichen Spuren nimmt bisher praktisch keiner vor. Sie könnte für einige Arten von Produkten hilfreich sein.
Einen Spurenfund von PSM in der Prozesskette, den der Bio-Unternehmer selber findet, prüft und bewertet er selbst. Wenn sämtliche Bio-Zertifikate der Vorstufen der Prozesskette vorliegen, wird er sagen können: ich erkenne kein Problem, es handelt sich um eine zufällige und nicht vermeidbare Verunreinigung. Das braucht dann nicht der Bio-Kontrollstelle gemeldet zu werden.
Für die Kontrollstellen (und -behörden) gilt nicht Artikel 28 der neuen Bio-VO, sondern Art. 29. Dort heisst es: Eine PSM-Spur, die die Bio-Kontrollstelle oder -behörde findet, d.h. über die in einem Analysebericht informiert wird und die ihr zur Kenntnis gelangt, löst die Amtsuntersuchung und die Sistierung der Produkte aus. Die Frage für das Bio-Unternehmen ist in dem Fall, mit welchen Dokumenten, mit welchen Nachweisen und wie schnell er zur Zufriedenheit der Behörde belegen kann, dass keine illegale Anwendung durch ein Bio-Unternehmen vorlag und – weit schwieriger – dass auf allen Stufen der Erzeugung, des Transports, der Verarbeitung, des Handels angemessene und verhältnismässige Vorsorgemassnahmen getroffen worden sind. Hier können erheblicher Aufwand und hohe Kosten für die Bio-Unternehmen entstehen. Und es kann zu behördlicher Willkür kommen. Produkte, die schon im Handel sind und die gesperrt werden müssen, werden in aller Regel direkt entsorgt, weil die grossen Handelshäuser keine Sperrlager haben und sich die Zusatzmühe nicht machen, erst Ware aus den Regalen zu nehmen und sie ggf. später wieder einzuräumen oder aber dann doch entsorgen zu müssen.
Wichtig ist meines Erachtens auch Definition 50, «Stufe der Produktion, der Aufbereitung und des Vertriebs»: eine Stufe, angefangen bei der Primärproduktion eines ökologischen/biologischen Erzeugnisses bis zu seiner Lagerung, seiner Verarbeitung, seiner Beförderung, seinem Verkauf oder seiner Abgabe an den Endverbraucher und gegebenenfalls der Kennzeichnung, der Werbung, der Einfuhr, der Ausfuhr und der im Rahmen von Unteraufträgen ausgeführten Tätigkeiten (DE L 150/20 Amtsblatt der Europäischen Union 14.6.2018). Sämtliche Stufen der Produktion, der Aufbereitung, des Vertriebs werden an diversen Stellen in der Verordnung angesprochen, so in den Erwägungsgründen 24, 82, 91. Ausserdem bei der Benennung des Geltungsbereichs, in Art. 37 bezüglich der Kontrollen und Art. 42, wo es um Massnahmen bei Verstössen geht (kein Anspruch auf Vollständigkeit). Ich erwähne das, um auf den möglicherweise beträchtlichen Aufwand bei allfälligen Klärungen hinzuweisen.
Hinzu kommt: Pestizidspurenfunde in Bioprodukten sind kein ganz so seltenes Problem, wie Herr Gerber es im Interview darstellt. Im Öko-Monitoring der CVUA Stuttgart (jährlich vorgelegter Bericht über einige Tausend Laboruntersuchungen auf Kontaminanten in Bio- und konventionellen Lebensmitteln) finden sich in 29% der untersuchten Bio-Proben Spuren.
Das ist nicht verwunderlich, wenn man bedenkt, dass Rückstände von Pestiziden mittlerweile überall zu finden sind, sogar schon im Eis der Arktis. Es ist also ein sehr reales Risiko, dass man in Proben von Bio-Produkten, die dem Handel entnommen werden und die von den Lebensmittelbehörden im Rahmen ihrer Stichprobenanalysen untersucht werden, mit Befunden und der Kette der dann folgenden aufwändigen und zeitraubenden Schritte der Amtsuntersuchung und Produktsperrung rechnen muss.
Hinsichtlich der Aufklärungspflicht des Bio-Bauern gegenüber seinen Nachbarn möchte ich auf Folgendes hindeuten: Die Aufklärungspflicht lässt sich aus dem deutschen Nachbarrecht ableiten (das gilt ja weiterhin). Ein Grundstückeigner kann von seinem Nachbarn bis zur Grenze des wirtschaftlich Zumutbaren (also bis zu Null Ertrag) Massnahmen verlangen, damit es nicht zu Emissionen in sein Grundstück kommt.
Herr Gerber spricht im Interview die Frage an, wer die Vorschriften ausle-
gen wird. Nun, gewiss nicht die EU-Kommission. Sie ist der Gesetzgeber, nicht der Anwender des Gesetzes und auch nicht die Recht sprechende Instanz. Die Vorschriften werden von den zuständigen Behörden bei uns, also den Öko-Kontrollbehörden, angewendet und zu diesem Zwecke ausgelegt. Und wenn deren Entscheidungen angegriffen werden, werden hiesige Gerichte eine weitere Auslegung durchführen. Das dauert dann einige Zeit. Die sistierten Produkte sind damit in aller Regel nicht zu retten.
Mein Fazit lautet daher: Die Bio-Unternehmen müssen alles daran setzen, dass sie zum einen sämtliche Bio-Zertifikate über die Prozesskette hin zur Hand haben und dass sie sachgerecht die Vorsorgemassnahmen ermitteln, einrichten und kontinuierlich anwenden, alles dokumentieren und die Dokumentation für den Fall eines Spurenfundes in ihren Produkten parat halten. Eine solche Dokumentation für die gesamte Wertschöpfungskette, ggf. sogar über die ganze Erde hin zur Verfügung zu haben, ist eine anspruchsvolle Aufgabe für jeden Importeur, Verarbeiter und Händler.
Dieser Text ist die gekürzte Fassung einer längeren Mail, die ich im Anschluss an das Interview mit Alexander Gerber persönlich an ihn gesendet hatte. Der Grund, weshalb der Text im vorliegenden Magazin abgedruckt wird, liegt darin, dass im Gespräch mit Mathias Forster der Eindruck entstanden ist, dass die darin angesprochenen Aspekte nicht nur für Landwirtschaftsbetriebe, sondern auch für andere Unternehmen der Bio-Branche interessant und relevant sein könnten.
Text von: Dr. sc.agr. Manon Haccius
Manon Haccius, Jahrgang 1959, studierte Agrarwissenschaften an den
Universitäten Göttingen, TU Berlin, Fort Collins (Colorado, USA) und Kiel.
Nach ihrer Promotion im Fachgebiet Tierzucht 1986 arbeitete sie zunächst für die Verbände des ökologischen Landbaus in Deutschland, ab 1988 war sie Geschäftsführerin der Arbeitsgemeinschaft Ökologischer Landbau e.V. (Vorläuferorganisation des heutigen BÖLW). Im Rahmen der IFOAM EU-Gruppe (International Federation of Organic Agriculture Movements) machte sie sich stark für die Verordnung über die Öko-Tierhaltung, ab 1998 war sie für fünf Jahre als Mitglied des Beratenden Ausschusses Öko-Landbau bei der Europäischen Kommission in Brüssel berufen. Seit April 2000 ist sie bei
Alnatura zuständig für Qualitätsmanagement und Verbraucherservice.
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Neue EU-Bio-Verordnung und der Umgang mit Pestiziden
Eine Bezugnahme von Dr. sc. arg. Manon Haccius, aus der Perspektive der Wirtschaftsbeteiligten, zu einigen Aspekten zum Thema welche, in vorherigen Ausgaben des Magazins, erwähnt worden waren.
Ich habe die Ausführungen von Hanspeter Schmidt und von Alexander Gerber in den beiden vorigen Ausgaben dieses Magazins zur neuen EU-Bio-Verordnung mit Interesse gelesen. Ich möchte hier Bezug nehmen zu einigen Aspekten, die Alexander Gerber im Interview der letzten Ausgabe gesagt hat. Vorab ist mir wichtig, zweierlei zu betonen:
1. Nachdrücklich möchte ich die deutschen Bio-Verbände in ihrem Bemühen bestärken, sich mit den zuständigen Behörden in Deutschland auf eine sinnvolle Handhabung der neuen gesetzlichen
Regeln zu verständigen.
2. Ich spreche aus der Perspektive der Wirtschaftsbeteiligten, die tagtäglich Entscheidungen treffen und für konkret auftretende Herausforderungen Lösungen finden müssen. Ich möchte dazu beitragen, dass bereits heute bestehende und neu aufkommende Risiken richtig eingeschätzt werden können.
Schon heute beobachten wir das Phänomen, dass in Deutschland einige Öko-Kontrollbehörden im Falle eines Spurenfundes von chemischen Pflanzenschutzmitteln (PSM) in Öko-Produkten sehr kleinteilig, zuweilen willkürlich, über etliche Stufen zurück in der Wertschöpfungskette Nachforschungen anstellen (lassen). Ähnliches wurde mir auch aus anderen EU-Ländern berichtet. Auf diesen konkreten Erfahrungen beruhen die Sorgen, die einige Akteure der Branche, auch ich, mit Blick auf die Umsetzung der Anforderungen der neuen EU-Bio-Verordnung haben. Ich meine daher, dass man nach innen, also zu den Bio-Unternehmen hin, mit Blick auf deren angemessene Vorbereitung auf die neue EU-Bio-Verordnung keine verharmlosende und abwiegelnde Linie vertreten sollte. Meines Erachtens müssen sich die Bio-Unternehmen sehr sorgfältig auf ein «Worst-Case-Szenario» vorbreiten; und wenn es dann nicht so schlimm kommt, oder nicht in jedem einzelnen Fall so schlimm kommt, dann umso besser.
Nun etwas mehr ins Detail gehend:
Wie Herr Gerber im Interview sagt, muss der Bio-Unternehmer Vorsorge gegen Kontamination mit PSM-Spuren treffen. Er muss systematisch schauen, wo Risiken einer Kontamination bestehen. Dann muss er überlegen, wie er das steuern kann. Sodann muss er entsprechend handeln. Vor allem muss er gut dokumentieren, was er tut. Denn sonst gilt der «Grundsatz des Qualitätsmanagements»: wo nichts aufgeschrieben, nichts dokumentiert ist, da hat auch nichts stattgefunden.
Mein Eindruck ist, dass Bio-Unternehmen solche Dokumentationen bisher zu wenig vornehmen und dass die Kontrollstellen dies derzeit noch nicht systematisch prüfen. Dadurch sind Bio-Unternehmen für den Fall, dass PSM-Kontaminationen in ihren Produkten festgestellt werden, einem erheblichen Risiko ausgesetzt. Sie sollten daher schon jetzt entsprechende Dienstleistungen von ihren Bio-Kontrollstellen bei der Kontrolle einfordern. Es sollte bei der nächsten Bio-Kontrolle geklärt werden, ob die Anforderungen an Risikobeurteilung, Vorsorgemassnahmen und Dokumentation ausreichend erfüllt werden.
Wie Herr Gerber im Interview sagt, müssen nun auch die Bio-Bauern (nicht nur die Verarbeiter) solche systematischen Vorsorgemassnahmen ergreifen. Damit betreten die Bauern Neuland, und dazu erhalten sie im Moment noch zu wenig Hilfestellung. Das gilt im Prinzip überall auf der Erde, wo Bio-Produkte angebaut werden, die nach Europa verkauft werden. Auf die dokumentierten Vorsorgemassnahmen kommt es im Fall eines Befundes von PSM-Spuren durch hiesige Behörden entscheidend an.
«Pestizidspurenfunde in Bioprodukten sind kein ganz so seltenes Problem …
Das ist nicht verwunderlich, wenn man bedenkt, dass Rückstände von Pestiziden mittlerweile überall zu finden sind, sogar schon im Eis der Arktis.»
Die Vorsorgemassnahmen sollen laut neuer Bio-Verordnung verhältnismässig und angemessen sein. Jeder Bio-Unternehmer muss schriftlich festhalten, wie er zu seinen Massnahmen gekommen ist. Herr Gerber meinte, dass die Vorsorgemassnahmen nur solche zu sein brauchten, die dem Einfluss des Bio-Unternehmers unterliegen. Das findet sich zwar in Erwägungsgrund 24 im Vorspruch (Präambel) der neuen EU-Bio-Verordnung, aber nicht im regelnden Text. Das führt zu rechtlichen Unsicherheiten in der Praxis. Dieses Risiko sollte meines Erachtens klar benannt werden. Ich teile im übrigen nicht die Auffassung, dass es dem EU-Gesetzgeber vorrangig um Kontamination mit PSM-Spuren aus Parallelproduktion im eigenen Betrieb geht. Das steht nirgends im Gesetz.
Im Interview führte Herr Gerber ausführlich aus, dass wir ubiquitäres Vorkommen von PSM-Spuren aus Abdrift im erweiterten Sinne haben und dass zudem immer feinere Analysemethoden dies immer besser detektieren, was für den Verbraucherschutz gut ist, die Wirtschaftsbeteiligten aber vor besondere Herausforderungen stellt. Die gemeinsame Nutzung von Maschinen (z.B. zum Ernten), Transportgeräten und Lagereinrichtungen ist bezüglich Kontamination mit PSM-Spuren ein reales Risiko, zudem schwer zu steuern, weil es ja jeweils die ersten oder Randpartien sind, die betroffen sind. Eine Homogenisierung, also eine gleichmässige Durchmischung grosser Rohwarenpartien zur Verdünnung solcher möglichen Spuren nimmt bisher praktisch keiner vor. Sie könnte für einige Arten von Produkten hilfreich sein.
Einen Spurenfund von PSM in der Prozesskette, den der Bio-Unternehmer selber findet, prüft und bewertet er selbst. Wenn sämtliche Bio-Zertifikate der Vorstufen der Prozesskette vorliegen, wird er sagen können: ich erkenne kein Problem, es handelt sich um eine zufällige und nicht vermeidbare Verunreinigung. Das braucht dann nicht der Bio-Kontrollstelle gemeldet zu werden.
Für die Kontrollstellen (und -behörden) gilt nicht Artikel 28 der neuen Bio-VO, sondern Art. 29. Dort heisst es: Eine PSM-Spur, die die Bio-Kontrollstelle oder -behörde findet, d.h. über die in einem Analysebericht informiert wird und die ihr zur Kenntnis gelangt, löst die Amtsuntersuchung und die Sistierung der Produkte aus. Die Frage für das Bio-Unternehmen ist in dem Fall, mit welchen Dokumenten, mit welchen Nachweisen und wie schnell er zur Zufriedenheit der Behörde belegen kann, dass keine illegale Anwendung durch ein Bio-Unternehmen vorlag und – weit schwieriger – dass auf allen Stufen der Erzeugung, des Transports, der Verarbeitung, des Handels angemessene und verhältnismässige Vorsorgemassnahmen getroffen worden sind. Hier können erheblicher Aufwand und hohe Kosten für die Bio-Unternehmen entstehen. Und es kann zu behördlicher Willkür kommen. Produkte, die schon im Handel sind und die gesperrt werden müssen, werden in aller Regel direkt entsorgt, weil die grossen Handelshäuser keine Sperrlager haben und sich die Zusatzmühe nicht machen, erst Ware aus den Regalen zu nehmen und sie ggf. später wieder einzuräumen oder aber dann doch entsorgen zu müssen.
Wichtig ist meines Erachtens auch Definition 50, «Stufe der Produktion, der Aufbereitung und des Vertriebs»: eine Stufe, angefangen bei der Primärproduktion eines ökologischen/biologischen Erzeugnisses bis zu seiner Lagerung, seiner Verarbeitung, seiner Beförderung, seinem Verkauf oder seiner Abgabe an den Endverbraucher und gegebenenfalls der Kennzeichnung, der Werbung, der Einfuhr, der Ausfuhr und der im Rahmen von Unteraufträgen ausgeführten Tätigkeiten (DE L 150/20 Amtsblatt der Europäischen Union 14.6.2018). Sämtliche Stufen der Produktion, der Aufbereitung, des Vertriebs werden an diversen Stellen in der Verordnung angesprochen, so in den Erwägungsgründen 24, 82, 91. Ausserdem bei der Benennung des Geltungsbereichs, in Art. 37 bezüglich der Kontrollen und Art. 42, wo es um Massnahmen bei Verstössen geht (kein Anspruch auf Vollständigkeit). Ich erwähne das, um auf den möglicherweise beträchtlichen Aufwand bei allfälligen Klärungen hinzuweisen.
Hinzu kommt: Pestizidspurenfunde in Bioprodukten sind kein ganz so seltenes Problem, wie Herr Gerber es im Interview darstellt. Im Öko-Monitoring der CVUA Stuttgart (jährlich vorgelegter Bericht über einige Tausend Laboruntersuchungen auf Kontaminanten in Bio- und konventionellen Lebensmitteln) finden sich in 29% der untersuchten Bio-Proben Spuren.
Das ist nicht verwunderlich, wenn man bedenkt, dass Rückstände von Pestiziden mittlerweile überall zu finden sind, sogar schon im Eis der Arktis. Es ist also ein sehr reales Risiko, dass man in Proben von Bio-Produkten, die dem Handel entnommen werden und die von den Lebensmittelbehörden im Rahmen ihrer Stichprobenanalysen untersucht werden, mit Befunden und der Kette der dann folgenden aufwändigen und zeitraubenden Schritte der Amtsuntersuchung und Produktsperrung rechnen muss.
Hinsichtlich der Aufklärungspflicht des Bio-Bauern gegenüber seinen Nachbarn möchte ich auf Folgendes hindeuten: Die Aufklärungspflicht lässt sich aus dem deutschen Nachbarrecht ableiten (das gilt ja weiterhin). Ein Grundstückeigner kann von seinem Nachbarn bis zur Grenze des wirtschaftlich Zumutbaren (also bis zu Null Ertrag) Massnahmen verlangen, damit es nicht zu Emissionen in sein Grundstück kommt.
Herr Gerber spricht im Interview die Frage an, wer die Vorschriften ausle-
gen wird. Nun, gewiss nicht die EU-Kommission. Sie ist der Gesetzgeber, nicht der Anwender des Gesetzes und auch nicht die Recht sprechende Instanz. Die Vorschriften werden von den zuständigen Behörden bei uns, also den Öko-Kontrollbehörden, angewendet und zu diesem Zwecke ausgelegt. Und wenn deren Entscheidungen angegriffen werden, werden hiesige Gerichte eine weitere Auslegung durchführen. Das dauert dann einige Zeit. Die sistierten Produkte sind damit in aller Regel nicht zu retten.
Mein Fazit lautet daher: Die Bio-Unternehmen müssen alles daran setzen, dass sie zum einen sämtliche Bio-Zertifikate über die Prozesskette hin zur Hand haben und dass sie sachgerecht die Vorsorgemassnahmen ermitteln, einrichten und kontinuierlich anwenden, alles dokumentieren und die Dokumentation für den Fall eines Spurenfundes in ihren Produkten parat halten. Eine solche Dokumentation für die gesamte Wertschöpfungskette, ggf. sogar über die ganze Erde hin zur Verfügung zu haben, ist eine anspruchsvolle Aufgabe für jeden Importeur, Verarbeiter und Händler.
Dieser Text ist die gekürzte Fassung einer längeren Mail, die ich im Anschluss an das Interview mit Alexander Gerber persönlich an ihn gesendet hatte. Der Grund, weshalb der Text im vorliegenden Magazin abgedruckt wird, liegt darin, dass im Gespräch mit Mathias Forster der Eindruck entstanden ist, dass die darin angesprochenen Aspekte nicht nur für Landwirtschaftsbetriebe, sondern auch für andere Unternehmen der Bio-Branche interessant und relevant sein könnten.
Text von: Dr. sc.agr. Manon Haccius
Manon Haccius, Jahrgang 1959, studierte Agrarwissenschaften an den
Universitäten Göttingen, TU Berlin, Fort Collins (Colorado, USA) und Kiel.
Nach ihrer Promotion im Fachgebiet Tierzucht 1986 arbeitete sie zunächst für die Verbände des ökologischen Landbaus in Deutschland, ab 1988 war sie Geschäftsführerin der Arbeitsgemeinschaft Ökologischer Landbau e.V. (Vorläuferorganisation des heutigen BÖLW). Im Rahmen der IFOAM EU-Gruppe (International Federation of Organic Agriculture Movements) machte sie sich stark für die Verordnung über die Öko-Tierhaltung, ab 1998 war sie für fünf Jahre als Mitglied des Beratenden Ausschusses Öko-Landbau bei der Europäischen Kommission in Brüssel berufen. Seit April 2000 ist sie bei
Alnatura zuständig für Qualitätsmanagement und Verbraucherservice.