Neue EU-Bio-Verordnung und der Umgang mit Pestiziden

Ein Interview mit Alexander Gerber über die neue EU-Bio-Verordnung und über Pestizide in der Landwirtschaft

Lieber Alexander, Du bist nahezu seit der Gründung des Bodenfruchtbarkeitsfonds Botschafter des Projekts. Darüber freuen wir uns sehr.

Heute möchten wir mit Dir Themen besprechen, von denen wir wissen, dass sie derzeit
viele Gemüter bewegen. Es geht um die neue EU-Bio-Verordnung, die ab 2020/21 in Kraft tritt, aber auch um den Umgang mit Pestiziden in der Landwirtschaft.

Welches sind aus Deiner Sicht die wesentlichen Veränderungen gegenüber der bisher geltenden EU-Bio-Verordnung?

Das Wichtigste ist: Das Grundprinzip des europäischen Bio-Rechts ändert sich nicht. Dies ist wichtig zu betonen, weil die EU-Kommission zeitweise tatsächlich einen sehr fundamentalen
Kurswechsel erwogen hatte. Und zwar von einem Prozess- zu einem Produktstandard. Dann wären
Bio-Produkte nur aufgrund der Anwesenheit von laut Bio-Recht verbotenen Stoffen aberkannt worden. Angesichts einer Welt, in der Pestizide ubiquitär – also überall, in Bäumen, Pflanzen, Wasser und Luft – vorhanden sind, die von Bio-Bauern gar nicht angewendet werden, wäre das eine völlig unsachgemässe Bio-Definition gewesen. Die Ökologische Landwirtschaft ist ein prozessual beschriebenes Anbau- und Tierhaltungssystem, von der Züchtung bis zum Verkaufstresen. Und das bleibt auch so. Das bedeutet: Wenn ich als Bio-Bauer die Vorgaben zum Anbau und zur Tierhaltung einhalte und selbst z.B. keine Pestizide anwende und Vorsorge gegen Kontaminationen treffe, sind meine Erzeugung und meine Produkte Bio. Andersherum wäre das angestrebte Ziel, mehr Sicherheit vor Betrug zu erlangen, auch nicht erreicht worden. Denn auch Betrugsware kann frei von Stoffen sein, die laut Bio-Recht verboten sind. Nach heftigen Auseinandersetzungen ist es gelungen, dass es im Fall von Kontaminationen
bei der bisherigen Prüfung des Einzelfalls bleibt, auch wenn manch hitzige Debatte hierzulande im Moment einen anderen Eindruck vermittelt. Dazu kommen wir aber sicherlich noch.

Wirklich neu ist aber, dass mit dem neuen Bio-Recht der bodengebundene Anbau im Gewächshaus festgeschrieben wurde. Es gibt auch erstmals Regeln für die Bio-Züchtung und für Bio-Aromen. Gruppen von besonders kleinen Bio-Betrieben können sich künftig nicht nur in Drittländern, sondern auch in der EU gemeinsam zertifizieren lassen, was den einzelnen Hof entlastet. Was sich bei der Kontrolle sonst noch ändert, wird erst in den nächsten Monaten verhandelt.

Kritiker sehen in der neuen Verordnung grossen zusätzlichen Aufwand auf die Bio-Landwirte zukommen. So wird z.B. die Vorsorgepflicht, um Kontaminationen zu vermeiden, so interpretiert, dass die Bio-Bauern mit ihren konventionellen Nachbarn deren Wirtschaftsweise diskutieren müssen und sie über eine besonders abdrift-
arme Bewirtschaftung aufklären und sich das von ihnen schriftlich bestätigen lassen müssen. Teilst Du diese Auffassung?

Aus unserer Sicht ist das eine abwegige Interpretation der neuen Verordnung. Richtig ist, dass künftig nicht nur Verarbeiter, sondern auch Landwirte systematische Vorsorgemassnahmen nachweisen müssen, um ihre Produktion vor Einträgen von nicht zugelassenen Stoffen und Erzeugnissen zu schützen. Das hat zum Beispiel eine besondere Bedeutung für Betriebe, die nur teilumgestellt sind.

Aber: Die Vorsorgemassnahmen müssen angemessen und verhältnismässig sein und im eigenen Verantwortungsbereich liegen. Die Fläche des Nachbarn liegt nicht im eigenen Einflussbereich des Bio-Bauern. Das Bio-Recht setzt den Vorsorgepflichten also auch klare Grenzen. Nicht alles, was theoretisch denkbar ist, um Risiken abzuwehren, kann vom Bio-Bauern verlangt werden. Auch jetzt schon gibt es in der Öko-Verordnung die Auflage zur Minimierung von Kontaminationen und dies sogar ohne eine Einschränkung auf angemessene und verhältnismässige Massnahmen. Trotzdem werden keine Heckenpflanzungen oder Abstandsflächen von den Bio-Bauern verlangt, um mal zwei Beispiele zu nennen. Eine Aufklärungspflicht von Bio-Bauern gegenüber ihren konventionell wirtschaftenden Nachbarn wäre ebenfalls nicht verhältnismässig: Selbst Bio-Betriebe in Gegenden mit grossen Äckern haben sehr viele Nachbarn. Die Ermittlung all dieser Nachbarn, die Kontaktaufnahme und das Einfordern einer schriftlichen Bestätigung einer vorgenommenen Aufklärung ist mit Sicherheit nicht verhältnismässig. Und sie ist auch nicht angemessen, denn sie würde das Verursacherprinzip auf den Kopf stellen.

Magazin 13 Illu 2 Bearbeitet

Die Öko-Verordnung hat an der Stelle, an der sie von Vorsorgemassnahmen gegen Kontaminationen spricht, hauptsächlich Betriebe im Blick, auf denen parallel konventionell und ökologisch produziert wird. Wir in Deutschland kennen solche Betriebe kaum noch, aber europaweit ist diese Bewirtschaftungsform noch häufig. Auf diesen Betrieben bestehen spezielle Risiken für Kontaminationen bei der Lagerung, dem Transport oder der gemeinsamen Nutzung von Maschinen. Je enger die Verknüpfung mit konventionellen Betriebsmitteln oder Geräten, desto grösser die Risiken für Verunreinigungen. Deshalb will die Kommission für diesen speziellen Fall sicherstellen, dass entsprechende Vorsorge ein Teil der Pflicht der Betriebsleiter solcher zweigleisigen Betriebe ist.

„Die Vorsorgemassnahmen müssen angemessen und
verhältnismässig sein und
im eigenen Verantwortungsbereich liegen“

Zudem sind auch die möglichen Kontaminationen, gegen die Bio-Bauern Vorsorge ergreifen sollen, beschränkt auf nicht zugelassene Stoffe, also alles, was nach der Öko-Verordnung einer Zulassungspflicht unterliegt wie z.B. Dünger, Pflanzenschutzmittel, Futtermittelzusatzstoffe oder Reinigungs- und Desinfektionsmittel. Damit sind beispielsweise Umweltkontaminanten wie Schwermetalle oder Dioxin ausgeschlossen. Hier gelten die gesetzlichen Grenzwerte.

Du hattest eingangs schon darauf hingewiesen, dass heute Pestizide überall, in Bäumen, Pflanzen, im Wasser und in der Luft enthalten sind. Das bestätigt unter anderem eine Studie des Umweltinstituts München. Das bedeutet, dass entgegen früherer Behauptungen der Agrarindustrie Pestizide kilometerweit ins Land und ins Wasser getragen wurden und werden. Darunter wurden Substanzen gefunden, die schon seit 40 Jahren nicht mehr im Handel erhältlich sind. Es liegt also nahe, dass kleinste Mengen von Pestiziden in Zukunft in vielen BioProdukten gefunden werden können. Was erwartet denn aus Eurer Sicht die Bauern konkret, wenn durch Einzelfallprüfungen Pestizidrückstände in ihren Produkten gefunden werden? Worauf müssen sich die Bauern einstellen? Welches sind die Prozesse, die auf einen solchen Befund folgen?

Die Situation mit den ubiquitär vorhandenen Pestiziden ist tatsächlich dramatisch und erfordert eine Ausstiegsstrategie. Ich würde aber gerne noch einmal klarstellen: An dieser Stelle bringt die Revision der Öko-Verordnung wenig Neues. Beprobung von Öko-Produkten entlang der Wertschöpfungsketten ist bereits Standard. Das ist ein Instrument innerhalb der Prozesskontrolle.  Ein positiver Befund verlangt vom Bio-Unternehmer, dem dieser vorliegt, dass er ihn prüft und einordnet. Die Prüfung richtet sich auf die Frage: Deutet der Befund auf eine Verletzung der Prozessvorschriften der Verordnung hin? Wenn ja, dann muss der Befund an eine zuständige Behörde gemeldet werden. Wenn es aber keinen Verdacht auf Verstoß gibt, weil bspw. ubiquitär vorhandene Stoffe gefunden wurden, dann muss auch nichts gemeldet werden. Neu ist nur, dass die Bauern ein System von Vorsorgemaßnahmen etablieren müssen, das Einträge verhindern soll. Sie müssen also kritische Punkte in ihrer Produktion identifizieren, an denen Eintrag passieren könnte, und hier Vorsorgemaßnahmen ergreifen. Diese kritischen Punkte und die Vorsorgemaßnahmen beziehen sich aber nur auf ihren eigenen Einflussbereich. Dass sie in diesem Bereich angemessene Maßnahmen ergriffen haben, bestätigt ihnen die Öko-Kontrolle.

In Artikel 28, Abs. 2 der neuen Verordnung wird geregelt, was der Landwirt zu tun hat, wenn er den Verdacht hat, dass sich unerlaubte Substanzen in seinen Produkten befinden. Er muss dann prüfen, ob sich der Verdacht bestätigt und darf solange seine Produkte nicht als Bio-Produkte in den Handel geben. Was heisst das zum Beispiel für den Fall, dass der Bauer sieht, wie die nahegelegenen Weinberge gerade vom Helikopter aus besprüht werden. Da drängt sich doch der Verdacht auf, dass sich ein Teil der Substanzen auf seinen Kulturen niederschlagen wird. Muss er seine Produkte dann im Labor analysieren lassen, bevor er sie in den Handel bringt? Schliesslich ist er ja dann per Gesetz dazu verpflichtet, zu untersuchen, ob sich sein Verdacht bestätigt.

Meine Antwort mag sich jetzt merkwürdig anhören, aber: Aus Sicht des Öko-Rechts ist der beschriebene Fall tatsächlich ein relativ klarer – und einfacher: Der Öko-Bauer ist verpflichtet einen Verdacht zu prüfen, ja. Aber einen Verdacht worauf? Es geht an dieser Stelle der Verordnung nicht um einen Verdacht „auf Kontaminationen“. Sondern es geht um Kontaminationen, die den Bio-Status des Produkts in Frage stellen, weil sie einen Verstoss gegen die Prozessvorschriften der Verordnung darstellen. Diesen Verdacht hätte der beschriebene Öko-Bauer aber nicht, und das völlig zu Recht. Durch den Helikopter eventuell verursachte Kontaminationen gehen eindeutig nicht auf einen Ver-stoss gegen die Verordnung zurück. Sie sind kein Fall von unerlaubter Anwendung – was ein Verstoss wäre. Und sie sind auch kein Fall eines Mangels an angemessenen und verhältnismässigen Vorsorgemassnahmen, die in seinem Einflussbereich lägen. Eine etwaige Kontamination durch eine Hubschrauberspritzung kann der Bio-Bauer leider nicht vermeiden. Es gibt somit keinen Verdacht auf Verstoss. Und daher auch keine Pflichten des Öko-Bauern, diesen zu untersuchen. Ein vergleichbarer Fall ist vor kurzem auch gerichtlich für die jetzigen Bio-Vorgaben geklärt worden und es wurde festgestellt, dass den Bio-Weinbauern in einem solchen Fall keine Schuld trifft. Es ist allerdings für den betroffenen Winzer sinnvoll, diese Spritzung zu dokumentieren, falls so hohe Belastungen in der Bio-Ernte auftreten, dass der Bio-Winzer seine Ware nicht mehr vermarkten kann und geklärt werden muss, wer für diesen Schaden aufkommt. Das ist dann aber eine Frage der Haftung und nicht eine Frage des Verstosses gegen das Bio-Recht.

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Aus Verbrauchersicht mag sich das Gesagte etwas verstörend anhören. Weil Bio-Verbraucher natürlich berechtigterweise pestizidfreie Ware erwarten, wenn sie Bio kaufen. Leider ist dieses Restrisiko jedoch der Preis, den unsere Gesellschaft für die Ausbringung von Pestiziden in der konventionellen Landwirtschaft in einer Weise, gegen die der Bio-Bauer nichts machen kann und die eigentlich die Koexistenz von konventioneller und Bio-Landwirtschaft gefährdet, zahlen muss. Eine Hubschrauberspritzung in einem Gebiet, wo kleinräumig Bio-Bauern und konventionelle Bauern wirtschaften, wäre eigentlich nach der guten fachlichen Praxis nicht zulässig. Hier muss sich in der konventionellen Landwirtschaft etwas ändern.

Die Kunden, die sich pestizidfreie Ware wünschen, verdanken die Existenz dieser Ware allein den Bio-Bauern, die viel Mühe auf sich nehmen, um solche Produkte zu liefern. Die Bio-Bauern dann für das Verhalten ihrer konventionellen Nachbarn zu bestrafen, wäre – gerade wenn man sich pestizidfreie Ware auf dem Markt wünscht – der falsche Weg. Denn damit würde es noch weniger Bauern geben, die den Weg „Bio“ auf sich nehmen wollen und können.

Trotzdem müssen diese Aussagen die Verbraucher nicht verschrecken, denn Pestizidrückstände sind in den Bio-Kontrollen der letzten Jahre ein seltenes Problem gewesen und auch jeweils nur in sehr geringem Umfang aufgetreten. Der Trend ist hier sogar seit Jahren abnehmend. Niemand muss sich daher fürchten, als Bio-Esser Pestiziden ausgesetzt zu sein.

Um die allgemeine Pestizidbelastung zu verringern, ist es aber sehr wichtig, dass künftig bei der Zulassung von PSM (Pflanzenschutzmittel) die Fragen der Abdrift und des Ferntransports von PSM berücksichtigt werden. Die unzureichenden Regelungen der GfP Pflanzenschutz müssen dringend überarbeitet werden und die besonderen Anforderungen der Bio-Produktion oder bspw. von Babynahrung oder Kräutern berücksichtigen. Grundsätzlich gilt: wer weniger Pestizide in der Umwelt will, muss dafür sorgen, dass diese gar nicht erst eingesetzt werden.

Aber wie ist es mit der Aufklärungspflicht gegenüber den konventionellen Nachbarn? Die wird es also aus Eurer Sicht so definitiv nicht geben?

Wo steht, dass Bio-Bauern das müssen? An keiner Stelle spricht die Verordnung von einer Aufklärungspflicht der Bio-Bauern gegenüber ihren Nachbarn.
Der konventionelle Landwirt ist grundsätzlich selbst dafür verantwortlich, dass es beim Spritzen nicht zur Abdrift von Pflanzenschutzmitteln kommt.
Man verlangt ja auch nicht vom Spaziergänger, dass er den Hundehalter darüber aufklärt, dass sein bissiger Hund einen Maulkorb zu tragen habe und sich das am besten noch schriftlich bestätigen lässt.

Selbstverständlich müssen konventionelle Landwirte sich an die Regeln der sogenannten guten fachlichen Praxis Pflanzenschutz halten, um Abdrift zu vermeiden. Dies einzufordern kann jedoch nicht Aufgabe ihrer Bio-Nachbarn sein. Die eigentliche Frage ist, ob die Behörden eigentlich das Einhalten der guten fachlichen Praxis konsequent durchsetzen und ob solche leichtflüchtigen Pestizide, die weiträumig verteilt werden, zugelassen werden sollten.

Es wird allerdings in der Verordnung nicht klar formuliert, was verhältnismässig ist und was nicht. Rechnest Du damit, dass diese Details vor Inkrafttreten noch präzisiert werden, damit eine grössere Rechtssicherheit für die Bauern entsteht?

Es ist tatsächlich möglich, dass die EU-Kommission die zu treffenden Vorsorgemassnahmen noch näher definieren wird, denn die entsprechenden Artikel der Verordnung ermächtigen sie dazu. Falls die Kommission von diesem Recht nicht Gebrauch machen sollte, werden die zuständigen Behörden in den Mitgliedsstaaten definieren, was zu den angemessenen und verhältnismässigen Vorsorgemassnahmen zählt. Unabhängig davon, wer nun am Ende diese Vorschriften auslegen wird, ist in jedem Falle klar: es müssen gemeinsam mit den Behörden machbare und zielführende Wege gefunden werden, wie die Vorsorgepflichten entlang der Wertschöpfungskette praktikabel umgesetzt und kontrolliert werden können. Und es darf keinesfalls die gesamte Last am Anfang der Kette, beim Bio-Bauern, abgeladen werden.

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Das mag sein. Aber ist nicht gerade die Landwirtschaft ein Bereich, wo das Verursacherprinzip gerade nicht gilt, weil z.B. erhöhte Aufbereitungskosten für durch Landwirtschaftsbetriebe kontaminiertes Wasser nicht den verursachenden Betrieben in Rechnung gestellt werden?

Hier müssen zwei Dinge ganz klar unterschieden werden: das eine sind Folgekosten, die entstehen, obwohl die Landwirtschaft im Rahmen der Gesetze arbeitet. Die geltenden Gesetze vergemeinschaften diese Kosten quasi, bzw. die Zeche wird an anderer Stelle, z.B. beim Wasserpreis, bezahlt. Eine unserer Kernforderungen ist es daher auch, diese Kosten zu internalisieren, also dem Verursacher zuzuordnen. Das andere sind aber direkte Auswirkungen unsachgemässer Handlungen, für die es aber klare gesetzliche Regelungen gibt. Dies zeigt sich glücklicherweise auch längst in der Rechtsprechung: Konventionelle Bauern sind immer wieder für den ökonomischen Schaden, den ihr Abdrift Bio-Bauern zugefügt hat, zur Verantwortung gezogen worden. In diesem Bereich greift das Verursacherprinzip also. Vor allem aber kommt hier ja noch ein weiteres hinzu: der Bio-Bauer kann nicht für den unverschuldeten Eintrag seines Nachbarn haftbar gemacht werden.

Ob die Behörden das Einhalten der guten fachlichen Praxis tatsächlich konsequent überprüfen und durchsetzen ist in der Tat eine wichtige Frage. Was ist Dein Eindruck?

Nein, den Eindruck dass die Einhaltung der guten fachlichen Praxis für Pflanzenschutz sichergestellt wird, habe ich in der Tat nicht ganz. In Deutschland ist die gute fachliche Praxis auch viel zu vage formuliert und macht viel zu wenig klare Vorgaben. Auf Basis der bestehenden Vorschriften ist es annähernd unmöglich, festzustellen, ob sie im konkreten Falle eingehalten oder dagegen verstossen wurde – weil die Vorschriften einfach viel zu unkonkret sind. Hier wäre dringend ein Nachschärfen erforderlich und im gleichen Zuge müsste die Einhaltung der guten fachlichen Praxis dann auch mit Sanktionen hinterlegt werden. Nur so kann der Rahmen geschaffen werden, innerhalb dessen die neue Öko-Verordnung überhaupt funktionieren kann.

„Grundsätzlich gilt:
wer weniger Pestizide in der Umwelt will,
muss dafür sorgen, dass diese gar nicht erst eingesetzt werden“

Für uns stellt sich auch die Frage, was denn eine gute fachliche Praxis im Hinblick auf Spraydrift eigentlich ist und sein kann? Nachdem sich Pestizide praktisch überall befinden, ist es da nicht eher unwahrscheinlich, dass sie sich so versprühen lassen, dass angrenzende Ökoflächen oder im Gemeinbesitz befindliche Natur nicht kontaminiert werden?

Mit schärferen, strengeren Regeln wären eine grosse Zahl von Fällen direkter Kontamination durch Spraydrift sicherlich zu verhindern. Diese Regeln würden den konventionellen Bauern aber durchaus unangenehme Pflichten und Kosten auferlegen, zum Beispiel sehr deutliche Abstandsflächen zu Nachbarn. Im Bereich der Gentechnik bzw. gentechnisch veränderter Pflanzen gibt es bereits Regeln, die deutlich weiter in diese Richtung gehen. Beim Pflanzenschutz sind wir allerdings noch weit davon entfernt. Vielleicht weil der Willen des Verbrauchers – und Wählers – hier auch bislang weniger deutlich spürbar war als im Gentechnik-Bereich. Vielleicht deuten aber die jüngsten Volksbegehren hier bereits eine Wende an? Denn eines ist unstrittig: Trotz aller Vorsorgemassnahmen führt das Spritzen von Pflanzenschutzmitteln immer auch zu einer ubiquitären Belastung der gesamten Umwelt. Einer der wichtigen Gründe, weshalb wir für 100% Bio kämpfen.

Hanspeter Schmidt, der sich in der letzten Ausgabe des Magazins zu diesem Thema geäussert hat, befürchtet, dass die neue Verordnung in den 16 deutschen Bundesländern und auch in den 28 EU-Mitgliedsstaaten unterschiedlich ausgelegt werden wird, was zu einer radikalen Ungleichbehandlung der Bio-Landwirte in Europa führen könnte. Wie siehst Du das?

Ja, unterschiedliche Auslegung der Verordnung sowohl zwischen Bundesländern als auch EU-Mitgliedsstaaten ist ein Fakt. Das gilt aber für EU-Recht eigentlich immer und auch schon für die bestehende Verordnung. Das führt einerseits zu Wettbewerbsverzerrungen, sorgt teilweise aber auch für eine angemessene Anpassung des gemeinsamen Rechts an die regional unterschiedlichen Verhältnisse von Finnland bis Malta.

Wir hätten uns an einigen Stellen mehr Harmonisierung gewünscht. So ist es z.B. so, dass Länder wie Italien und Belgien, die nationale Grenzwerte schon seit einigen Jahren eingeführt haben, diese auch beibehalten dürfen und damit die unterschiedlichen Ansätze im Umgang mit Kontaminationen in Europa fortgesetzt werden dürfen. Der Spielraum wird vom neuen Bio-Recht aber an manchen Stellen auch beschränkt. So soll bis 2035 überall biovermehrtes Saatgut eingesetzt werden. Bislang sind die Bemühungen dafür in den Mitgliedsstaaten sehr unterschiedlich, manche Länder haben nicht einmal eine gut gepflegte Saatgut-Datenbank, obwohl diese Auflage schon seit vielen Jahren in der Öko-Verordnung verankert ist. Länder wie Deutschland und die Niederlande gehen sogar noch weiter und haben nationale Listen für Sorten, die nur noch aus Öko-Vermehrung stammen dürfen und für die deshalb keine Ausnahmegenehmigungen mehr möglich sind. Wir hoffen, dass die neuen Vorgaben einen stärkeren Anreiz innerhalb der EU setzen, dass jedes Land sich um mehr ökovermehrtes oder ökogezüchtetes Saatgut bemühen muss.

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In Deutschland drängen wir von Seiten des BÖLW gegenüber den Bundesländern auf gemeinsame Interpretationen und sind dazu im ständigen Austausch mit den zuständigen Ministerien und Behörden. Du siehst also, wir setzen uns konkret dafür ein, dass unsere Bäuerinnen und Bauern aber auch Unternehmen der Verarbeitung und des Handels unter möglichst gleichen Rahmenbedingungen arbeiten können, egal wo ihr Betrieb ist.

Du bist auch Vorstandssprecher von Demeter Deutschland. Wie begleitet und unterstützt der Verband seine Mitglieder im Hinblick auf die Einführung der neuen EU-Verordnung?

Aktuell steht noch die Arbeit an den Rechtsakten, die die neue Basisverordnung ergänzen, und deren konstruktiv-kritische Begleitung im Vordergrund. D.h. wie die Details der Umsetzung aussehen, wissen wir an vielen Stellen noch gar nicht. Entscheidend ist daher zunächst, dass diese Bestimmungen sinnvoll gestaltet werden und hier steckt der Teufel noch im Detail. Dabei sind die Regeln für Landwirtschaft und Verarbeitung schon relativ weit gediehen, die Diskussionen um die Kontroll- und Import-
regeln beginnen gerade erst. Sobald klar ist, welche konkreten Änderungen auf die Betriebe im Vergleich zur aktuellen Praxis zukommen, werden wir ihnen das in einer aufbereiteten Übersicht zukommen lassen. Dort, wo es notwendig ist, ist unser über 40-köpfiges Beraterteam zur Stelle und unterstützt bei der Umsetzung.

Kritiker betonen insbesondere die Risiken, die mit der Einführung der neuen EU-Verordnung nicht nur auf die Bauern, sondern auf die gesamte Bio-Branche zukommen. Siehst Du in der neuen Verordnung auch Chancen, und wenn ja, welche sind das?

Insgesamt ist das Ergebnis, gemessen an dem enorm hohen Aufwand der von Kommission, Parlament, Ministerien und Wirtschaftsvertretern über fünf Jahre hinweg geleistet wurde, ernüchternd. Auf der Haben-Seite stehen das Prinzip des bodengebundenen Anbaus auch im Gewächshaus, der stärkere Impuls in Richtung ökovermehrtem und ökogezüchtetem Saatgut einschliesslich heterogenem Material – das ist sehr wichtig für die Erhaltung der Artenvielfalt. Der Geltungsbereich wurde nachgeschärft, sodass z.B. Bienenwachs jetzt klar unter die Öko-Verordnung fällt. Diese Aspekte sind bereits in der Basisverordnung geregelt. Viele weitere Entwicklungsaspekte – wie die Grössen für Ställe und Ausläufe, zugelassene Betriebsmittel und Zusatz- und Hilfsstoffe für die Lebensmittelherstellung – werden erst mit den Rechtsakten festgelegt werden. Im Bereich Tierhaltung hätten wir uns mehr erhofft. Es ist absehbar, dass die Vorgaben für Ställe und Ausläufe für Wiederkäuer und Schweine weitgehend unverändert übernommen werden. Für Geflügelbetriebe gibt es künftig zwar einheitlichere Bestimmungen, allerdings ist absehbar, dass auf viele Geflügelbetriebe in Deutschland Änderungen zukommen werden. EU-weite Regeln für Kaninchen und Wild sind neu in die Öko-Verordnung aufgenommen worden.

Diese Verordnung betrifft ja alle Bio-Bauern und somit auch alle Bio-Verbände. Findet diesbezüglich ein Austausch und eine Abstimmung statt? Gibt es Interpretationsunterschiede zwischen den einzelnen Verbänden und wenn ja, welche?

Nein, es gibt keine Interpretationsunterschiede zwischen den Verbänden. So divers die Bio-Verbandssituation in Deutschland ist, so eng stehen wir in der politischen Lobbyarbeit und insbesondere, wenn es um das Bio-Recht geht, zusammen. Dafür sind wir im BÖLW organisiert und stimmen uns hier zu allen Fragen ab. Aber selbst auf EU-Ebene, wo durch unterschiedliches Klima, Landbauhistorie und Ernährungskultur Unterschiede bestehen, zum Beispiel bei Tierhaltungs- oder Gemüsebausystemen, stimmen wir uns in der IFOAM-EU-Gruppe eng ab und positionieren uns gemeinsam.

Der Bodenfruchtbarkeitsfonds arbeitet auch mit Partnerbetrieben in der Schweiz zusammen. Insbesondere für Unternehmen, die Bio-Ware in die EU liefern, wäre wichtig zu wissen, ob sich für sie durch die neue EU-Bio-Verordnung etwas ändern wird. Kann man dazu schon etwas sagen?

Mit letzter Gewissheit kann man leider noch nichts sagen. Die Verhandlungen über die Rechtsakte zu Importen beginnen erst und die Umsetzung der neuen Importregelungen dauert noch länger. Bislang ist die Schweiz nach der geltenden Verordnung ein anerkanntes Drittland. Ab 2026 wird es diese Liste anerkannter Drittländer nicht mehr geben und die Schweiz muss bis dahin ein neues Handelsabkommen mit der EU abschliessen. Dieses ist frei verhandelbar, muss aber künftig ermöglichen, dass nicht nur die Schweiz in die EU importieren darf, sondern auch umgekehrt die EU in die Schweiz. Ob dieses Handelsabkommen tatsächlich zustande kommt und was dann dort drin steht, ist selbstverständlich noch offen. Wir gehen aber davon aus, das die EU ein Interesse an einem solchen Abkommen mit der Schweiz haben wird und dass es dann auch in ähnlicher Weise für die Schweizer Bauern und Unternehmen weitergehen könnte, aber ein Stück weit bleibt das noch abzuwarten.
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Bio-Bauern beklagen sich häufig darüber, dass konventionelle Landwirtschaft von der Politik bevorzugt behandelt wird, eben zum Beispiel dadurch, dass konventionelle Betriebe einen Teil ihrer Kosten externalisieren dürfen. 

Die Verbraucher zahlen dadurch nicht die Gesamtkosten für die Herstellung von Billigwurst an der Ladenkasse, sondern ein Teil dieser Kosten wird auf die Allgemeinheit abgewälzt. Das ist natürlich staatlich organisierte Wettbewerbsverzerrung zugunsten des konventionellen Landbaus und ausserdem Täuschung der Öffentlichkeit. Wie ist Dein Gesamteindruck: wird die konventionelle Landwirtschaft gegenüber dem Ökolandbau von der Politik bevorzugt behandelt und wenn ja, an welchen Stellen nimmst Du eine solche Bevorzugung wahr?

Das Schlimme ist, dass es eine enge Verquickung der konventionellen Bauernlobby, der Agrarindustrie und Abgeordneten gibt. Letztlich werden also gar nicht die langfristigen Interessen der Bauern, sondern die der Industrie vertreten. Und weil es traditionell wichtige Wählergruppen sind, schützt die Politik – mit Unterschieden je nach Partei und Regierung – z.T. mit Vehemenz das konventionelle System. Und das, obwohl eigentlich längst klar ist, dass es sich in einer Sackgasse befindet. Was beispielsweise in Deutschland hoffnungsvoll stimmt, ist, dass in einigen Bundesländern – quer über alle Parteien hinweg – die Landesregierungen den Ökolandbau stark oder sogar bevorzugt fördern. Dieser steuernde Effekt hin zu einer nachhaltigen, ökologischen Landwirtschaft muss aber insgesamt, besonders auch durch die Agrarpolitik der EU, sehr viel stärker und konsequenter umgesetzt werden.

Lieber Alexander, wir danken Dir für das Gespräch und wünschen für die weiteren Verhandlungen alles Gute und viel Erfolg!

AGAlexander Gerber ist hauptamtlicher Vorstand des Demeter e.V. und
Vize-Präsident von Demeter-International. Im Vorstand des BÖLW
(Bund ökologischer Lebensmittelwirtschaft) vertritt er die ökologischen
Erzeugerverbände. Der BÖLW ist die politische Vertretung aller
deutschen Bio-Verbände aus Landwirtschaft, Verarbeitung und
Handel. Der BÖLW setzt sich gegenüber der Bundesregierung für
eine angemessene Förderung von Ökobetrieben und gute
rechtliche Rahmenbedingungen für die Ökologische
Lebensmittelwirtschaft ein. Sein Ziel ist, dass EU-Zahlungen an die
Landwirtschaft künftig an Umwelt-, Tier- und Klimaschutzmassnahmen
gebunden sind.

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Neue EU-Bio-Verordnung und der Umgang mit Pestiziden

Ein Interview mit Alexander Gerber über die neue EU-Bio-Verordnung und über Pestizide in der Landwirtschaft

Lieber Alexander, Du bist nahezu seit der Gründung des Bodenfruchtbarkeitsfonds Botschafter des Projekts. Darüber freuen wir uns sehr.

Heute möchten wir mit Dir Themen besprechen, von denen wir wissen, dass sie derzeit
viele Gemüter bewegen. Es geht um die neue EU-Bio-Verordnung, die ab 2020/21 in Kraft tritt, aber auch um den Umgang mit Pestiziden in der Landwirtschaft.

Welches sind aus Deiner Sicht die wesentlichen Veränderungen gegenüber der bisher geltenden EU-Bio-Verordnung?

Das Wichtigste ist: Das Grundprinzip des europäischen Bio-Rechts ändert sich nicht. Dies ist wichtig zu betonen, weil die EU-Kommission zeitweise tatsächlich einen sehr fundamentalen
Kurswechsel erwogen hatte. Und zwar von einem Prozess- zu einem Produktstandard. Dann wären
Bio-Produkte nur aufgrund der Anwesenheit von laut Bio-Recht verbotenen Stoffen aberkannt worden. Angesichts einer Welt, in der Pestizide ubiquitär – also überall, in Bäumen, Pflanzen, Wasser und Luft – vorhanden sind, die von Bio-Bauern gar nicht angewendet werden, wäre das eine völlig unsachgemässe Bio-Definition gewesen. Die Ökologische Landwirtschaft ist ein prozessual beschriebenes Anbau- und Tierhaltungssystem, von der Züchtung bis zum Verkaufstresen. Und das bleibt auch so. Das bedeutet: Wenn ich als Bio-Bauer die Vorgaben zum Anbau und zur Tierhaltung einhalte und selbst z.B. keine Pestizide anwende und Vorsorge gegen Kontaminationen treffe, sind meine Erzeugung und meine Produkte Bio. Andersherum wäre das angestrebte Ziel, mehr Sicherheit vor Betrug zu erlangen, auch nicht erreicht worden. Denn auch Betrugsware kann frei von Stoffen sein, die laut Bio-Recht verboten sind. Nach heftigen Auseinandersetzungen ist es gelungen, dass es im Fall von Kontaminationen
bei der bisherigen Prüfung des Einzelfalls bleibt, auch wenn manch hitzige Debatte hierzulande im Moment einen anderen Eindruck vermittelt. Dazu kommen wir aber sicherlich noch.

Wirklich neu ist aber, dass mit dem neuen Bio-Recht der bodengebundene Anbau im Gewächshaus festgeschrieben wurde. Es gibt auch erstmals Regeln für die Bio-Züchtung und für Bio-Aromen. Gruppen von besonders kleinen Bio-Betrieben können sich künftig nicht nur in Drittländern, sondern auch in der EU gemeinsam zertifizieren lassen, was den einzelnen Hof entlastet. Was sich bei der Kontrolle sonst noch ändert, wird erst in den nächsten Monaten verhandelt.

Kritiker sehen in der neuen Verordnung grossen zusätzlichen Aufwand auf die Bio-Landwirte zukommen. So wird z.B. die Vorsorgepflicht, um Kontaminationen zu vermeiden, so interpretiert, dass die Bio-Bauern mit ihren konventionellen Nachbarn deren Wirtschaftsweise diskutieren müssen und sie über eine besonders abdrift-
arme Bewirtschaftung aufklären und sich das von ihnen schriftlich bestätigen lassen müssen. Teilst Du diese Auffassung?

Aus unserer Sicht ist das eine abwegige Interpretation der neuen Verordnung. Richtig ist, dass künftig nicht nur Verarbeiter, sondern auch Landwirte systematische Vorsorgemassnahmen nachweisen müssen, um ihre Produktion vor Einträgen von nicht zugelassenen Stoffen und Erzeugnissen zu schützen. Das hat zum Beispiel eine besondere Bedeutung für Betriebe, die nur teilumgestellt sind.

Aber: Die Vorsorgemassnahmen müssen angemessen und verhältnismässig sein und im eigenen Verantwortungsbereich liegen. Die Fläche des Nachbarn liegt nicht im eigenen Einflussbereich des Bio-Bauern. Das Bio-Recht setzt den Vorsorgepflichten also auch klare Grenzen. Nicht alles, was theoretisch denkbar ist, um Risiken abzuwehren, kann vom Bio-Bauern verlangt werden. Auch jetzt schon gibt es in der Öko-Verordnung die Auflage zur Minimierung von Kontaminationen und dies sogar ohne eine Einschränkung auf angemessene und verhältnismässige Massnahmen. Trotzdem werden keine Heckenpflanzungen oder Abstandsflächen von den Bio-Bauern verlangt, um mal zwei Beispiele zu nennen. Eine Aufklärungspflicht von Bio-Bauern gegenüber ihren konventionell wirtschaftenden Nachbarn wäre ebenfalls nicht verhältnismässig: Selbst Bio-Betriebe in Gegenden mit grossen Äckern haben sehr viele Nachbarn. Die Ermittlung all dieser Nachbarn, die Kontaktaufnahme und das Einfordern einer schriftlichen Bestätigung einer vorgenommenen Aufklärung ist mit Sicherheit nicht verhältnismässig. Und sie ist auch nicht angemessen, denn sie würde das Verursacherprinzip auf den Kopf stellen.

Magazin 13 Illu 2 Bearbeitet

Die Öko-Verordnung hat an der Stelle, an der sie von Vorsorgemassnahmen gegen Kontaminationen spricht, hauptsächlich Betriebe im Blick, auf denen parallel konventionell und ökologisch produziert wird. Wir in Deutschland kennen solche Betriebe kaum noch, aber europaweit ist diese Bewirtschaftungsform noch häufig. Auf diesen Betrieben bestehen spezielle Risiken für Kontaminationen bei der Lagerung, dem Transport oder der gemeinsamen Nutzung von Maschinen. Je enger die Verknüpfung mit konventionellen Betriebsmitteln oder Geräten, desto grösser die Risiken für Verunreinigungen. Deshalb will die Kommission für diesen speziellen Fall sicherstellen, dass entsprechende Vorsorge ein Teil der Pflicht der Betriebsleiter solcher zweigleisigen Betriebe ist.

„Die Vorsorgemassnahmen müssen angemessen und
verhältnismässig sein und
im eigenen Verantwortungsbereich liegen“

Zudem sind auch die möglichen Kontaminationen, gegen die Bio-Bauern Vorsorge ergreifen sollen, beschränkt auf nicht zugelassene Stoffe, also alles, was nach der Öko-Verordnung einer Zulassungspflicht unterliegt wie z.B. Dünger, Pflanzenschutzmittel, Futtermittelzusatzstoffe oder Reinigungs- und Desinfektionsmittel. Damit sind beispielsweise Umweltkontaminanten wie Schwermetalle oder Dioxin ausgeschlossen. Hier gelten die gesetzlichen Grenzwerte.

Du hattest eingangs schon darauf hingewiesen, dass heute Pestizide überall, in Bäumen, Pflanzen, im Wasser und in der Luft enthalten sind. Das bestätigt unter anderem eine Studie des Umweltinstituts München. Das bedeutet, dass entgegen früherer Behauptungen der Agrarindustrie Pestizide kilometerweit ins Land und ins Wasser getragen wurden und werden. Darunter wurden Substanzen gefunden, die schon seit 40 Jahren nicht mehr im Handel erhältlich sind. Es liegt also nahe, dass kleinste Mengen von Pestiziden in Zukunft in vielen BioProdukten gefunden werden können. Was erwartet denn aus Eurer Sicht die Bauern konkret, wenn durch Einzelfallprüfungen Pestizidrückstände in ihren Produkten gefunden werden? Worauf müssen sich die Bauern einstellen? Welches sind die Prozesse, die auf einen solchen Befund folgen?

Die Situation mit den ubiquitär vorhandenen Pestiziden ist tatsächlich dramatisch und erfordert eine Ausstiegsstrategie. Ich würde aber gerne noch einmal klarstellen: An dieser Stelle bringt die Revision der Öko-Verordnung wenig Neues. Beprobung von Öko-Produkten entlang der Wertschöpfungsketten ist bereits Standard. Das ist ein Instrument innerhalb der Prozesskontrolle.  Ein positiver Befund verlangt vom Bio-Unternehmer, dem dieser vorliegt, dass er ihn prüft und einordnet. Die Prüfung richtet sich auf die Frage: Deutet der Befund auf eine Verletzung der Prozessvorschriften der Verordnung hin? Wenn ja, dann muss der Befund an eine zuständige Behörde gemeldet werden. Wenn es aber keinen Verdacht auf Verstoß gibt, weil bspw. ubiquitär vorhandene Stoffe gefunden wurden, dann muss auch nichts gemeldet werden. Neu ist nur, dass die Bauern ein System von Vorsorgemaßnahmen etablieren müssen, das Einträge verhindern soll. Sie müssen also kritische Punkte in ihrer Produktion identifizieren, an denen Eintrag passieren könnte, und hier Vorsorgemaßnahmen ergreifen. Diese kritischen Punkte und die Vorsorgemaßnahmen beziehen sich aber nur auf ihren eigenen Einflussbereich. Dass sie in diesem Bereich angemessene Maßnahmen ergriffen haben, bestätigt ihnen die Öko-Kontrolle.

In Artikel 28, Abs. 2 der neuen Verordnung wird geregelt, was der Landwirt zu tun hat, wenn er den Verdacht hat, dass sich unerlaubte Substanzen in seinen Produkten befinden. Er muss dann prüfen, ob sich der Verdacht bestätigt und darf solange seine Produkte nicht als Bio-Produkte in den Handel geben. Was heisst das zum Beispiel für den Fall, dass der Bauer sieht, wie die nahegelegenen Weinberge gerade vom Helikopter aus besprüht werden. Da drängt sich doch der Verdacht auf, dass sich ein Teil der Substanzen auf seinen Kulturen niederschlagen wird. Muss er seine Produkte dann im Labor analysieren lassen, bevor er sie in den Handel bringt? Schliesslich ist er ja dann per Gesetz dazu verpflichtet, zu untersuchen, ob sich sein Verdacht bestätigt.

Meine Antwort mag sich jetzt merkwürdig anhören, aber: Aus Sicht des Öko-Rechts ist der beschriebene Fall tatsächlich ein relativ klarer – und einfacher: Der Öko-Bauer ist verpflichtet einen Verdacht zu prüfen, ja. Aber einen Verdacht worauf? Es geht an dieser Stelle der Verordnung nicht um einen Verdacht „auf Kontaminationen“. Sondern es geht um Kontaminationen, die den Bio-Status des Produkts in Frage stellen, weil sie einen Verstoss gegen die Prozessvorschriften der Verordnung darstellen. Diesen Verdacht hätte der beschriebene Öko-Bauer aber nicht, und das völlig zu Recht. Durch den Helikopter eventuell verursachte Kontaminationen gehen eindeutig nicht auf einen Ver-stoss gegen die Verordnung zurück. Sie sind kein Fall von unerlaubter Anwendung – was ein Verstoss wäre. Und sie sind auch kein Fall eines Mangels an angemessenen und verhältnismässigen Vorsorgemassnahmen, die in seinem Einflussbereich lägen. Eine etwaige Kontamination durch eine Hubschrauberspritzung kann der Bio-Bauer leider nicht vermeiden. Es gibt somit keinen Verdacht auf Verstoss. Und daher auch keine Pflichten des Öko-Bauern, diesen zu untersuchen. Ein vergleichbarer Fall ist vor kurzem auch gerichtlich für die jetzigen Bio-Vorgaben geklärt worden und es wurde festgestellt, dass den Bio-Weinbauern in einem solchen Fall keine Schuld trifft. Es ist allerdings für den betroffenen Winzer sinnvoll, diese Spritzung zu dokumentieren, falls so hohe Belastungen in der Bio-Ernte auftreten, dass der Bio-Winzer seine Ware nicht mehr vermarkten kann und geklärt werden muss, wer für diesen Schaden aufkommt. Das ist dann aber eine Frage der Haftung und nicht eine Frage des Verstosses gegen das Bio-Recht.

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Aus Verbrauchersicht mag sich das Gesagte etwas verstörend anhören. Weil Bio-Verbraucher natürlich berechtigterweise pestizidfreie Ware erwarten, wenn sie Bio kaufen. Leider ist dieses Restrisiko jedoch der Preis, den unsere Gesellschaft für die Ausbringung von Pestiziden in der konventionellen Landwirtschaft in einer Weise, gegen die der Bio-Bauer nichts machen kann und die eigentlich die Koexistenz von konventioneller und Bio-Landwirtschaft gefährdet, zahlen muss. Eine Hubschrauberspritzung in einem Gebiet, wo kleinräumig Bio-Bauern und konventionelle Bauern wirtschaften, wäre eigentlich nach der guten fachlichen Praxis nicht zulässig. Hier muss sich in der konventionellen Landwirtschaft etwas ändern.

Die Kunden, die sich pestizidfreie Ware wünschen, verdanken die Existenz dieser Ware allein den Bio-Bauern, die viel Mühe auf sich nehmen, um solche Produkte zu liefern. Die Bio-Bauern dann für das Verhalten ihrer konventionellen Nachbarn zu bestrafen, wäre – gerade wenn man sich pestizidfreie Ware auf dem Markt wünscht – der falsche Weg. Denn damit würde es noch weniger Bauern geben, die den Weg „Bio“ auf sich nehmen wollen und können.

Trotzdem müssen diese Aussagen die Verbraucher nicht verschrecken, denn Pestizidrückstände sind in den Bio-Kontrollen der letzten Jahre ein seltenes Problem gewesen und auch jeweils nur in sehr geringem Umfang aufgetreten. Der Trend ist hier sogar seit Jahren abnehmend. Niemand muss sich daher fürchten, als Bio-Esser Pestiziden ausgesetzt zu sein.

Um die allgemeine Pestizidbelastung zu verringern, ist es aber sehr wichtig, dass künftig bei der Zulassung von PSM (Pflanzenschutzmittel) die Fragen der Abdrift und des Ferntransports von PSM berücksichtigt werden. Die unzureichenden Regelungen der GfP Pflanzenschutz müssen dringend überarbeitet werden und die besonderen Anforderungen der Bio-Produktion oder bspw. von Babynahrung oder Kräutern berücksichtigen. Grundsätzlich gilt: wer weniger Pestizide in der Umwelt will, muss dafür sorgen, dass diese gar nicht erst eingesetzt werden.

Aber wie ist es mit der Aufklärungspflicht gegenüber den konventionellen Nachbarn? Die wird es also aus Eurer Sicht so definitiv nicht geben?

Wo steht, dass Bio-Bauern das müssen? An keiner Stelle spricht die Verordnung von einer Aufklärungspflicht der Bio-Bauern gegenüber ihren Nachbarn.
Der konventionelle Landwirt ist grundsätzlich selbst dafür verantwortlich, dass es beim Spritzen nicht zur Abdrift von Pflanzenschutzmitteln kommt.
Man verlangt ja auch nicht vom Spaziergänger, dass er den Hundehalter darüber aufklärt, dass sein bissiger Hund einen Maulkorb zu tragen habe und sich das am besten noch schriftlich bestätigen lässt.

Selbstverständlich müssen konventionelle Landwirte sich an die Regeln der sogenannten guten fachlichen Praxis Pflanzenschutz halten, um Abdrift zu vermeiden. Dies einzufordern kann jedoch nicht Aufgabe ihrer Bio-Nachbarn sein. Die eigentliche Frage ist, ob die Behörden eigentlich das Einhalten der guten fachlichen Praxis konsequent durchsetzen und ob solche leichtflüchtigen Pestizide, die weiträumig verteilt werden, zugelassen werden sollten.

Es wird allerdings in der Verordnung nicht klar formuliert, was verhältnismässig ist und was nicht. Rechnest Du damit, dass diese Details vor Inkrafttreten noch präzisiert werden, damit eine grössere Rechtssicherheit für die Bauern entsteht?

Es ist tatsächlich möglich, dass die EU-Kommission die zu treffenden Vorsorgemassnahmen noch näher definieren wird, denn die entsprechenden Artikel der Verordnung ermächtigen sie dazu. Falls die Kommission von diesem Recht nicht Gebrauch machen sollte, werden die zuständigen Behörden in den Mitgliedsstaaten definieren, was zu den angemessenen und verhältnismässigen Vorsorgemassnahmen zählt. Unabhängig davon, wer nun am Ende diese Vorschriften auslegen wird, ist in jedem Falle klar: es müssen gemeinsam mit den Behörden machbare und zielführende Wege gefunden werden, wie die Vorsorgepflichten entlang der Wertschöpfungskette praktikabel umgesetzt und kontrolliert werden können. Und es darf keinesfalls die gesamte Last am Anfang der Kette, beim Bio-Bauern, abgeladen werden.

Magazin 16 Illu Bearbeitet

Das mag sein. Aber ist nicht gerade die Landwirtschaft ein Bereich, wo das Verursacherprinzip gerade nicht gilt, weil z.B. erhöhte Aufbereitungskosten für durch Landwirtschaftsbetriebe kontaminiertes Wasser nicht den verursachenden Betrieben in Rechnung gestellt werden?

Hier müssen zwei Dinge ganz klar unterschieden werden: das eine sind Folgekosten, die entstehen, obwohl die Landwirtschaft im Rahmen der Gesetze arbeitet. Die geltenden Gesetze vergemeinschaften diese Kosten quasi, bzw. die Zeche wird an anderer Stelle, z.B. beim Wasserpreis, bezahlt. Eine unserer Kernforderungen ist es daher auch, diese Kosten zu internalisieren, also dem Verursacher zuzuordnen. Das andere sind aber direkte Auswirkungen unsachgemässer Handlungen, für die es aber klare gesetzliche Regelungen gibt. Dies zeigt sich glücklicherweise auch längst in der Rechtsprechung: Konventionelle Bauern sind immer wieder für den ökonomischen Schaden, den ihr Abdrift Bio-Bauern zugefügt hat, zur Verantwortung gezogen worden. In diesem Bereich greift das Verursacherprinzip also. Vor allem aber kommt hier ja noch ein weiteres hinzu: der Bio-Bauer kann nicht für den unverschuldeten Eintrag seines Nachbarn haftbar gemacht werden.

Ob die Behörden das Einhalten der guten fachlichen Praxis tatsächlich konsequent überprüfen und durchsetzen ist in der Tat eine wichtige Frage. Was ist Dein Eindruck?

Nein, den Eindruck dass die Einhaltung der guten fachlichen Praxis für Pflanzenschutz sichergestellt wird, habe ich in der Tat nicht ganz. In Deutschland ist die gute fachliche Praxis auch viel zu vage formuliert und macht viel zu wenig klare Vorgaben. Auf Basis der bestehenden Vorschriften ist es annähernd unmöglich, festzustellen, ob sie im konkreten Falle eingehalten oder dagegen verstossen wurde – weil die Vorschriften einfach viel zu unkonkret sind. Hier wäre dringend ein Nachschärfen erforderlich und im gleichen Zuge müsste die Einhaltung der guten fachlichen Praxis dann auch mit Sanktionen hinterlegt werden. Nur so kann der Rahmen geschaffen werden, innerhalb dessen die neue Öko-Verordnung überhaupt funktionieren kann.

„Grundsätzlich gilt:
wer weniger Pestizide in der Umwelt will,
muss dafür sorgen, dass diese gar nicht erst eingesetzt werden“

Für uns stellt sich auch die Frage, was denn eine gute fachliche Praxis im Hinblick auf Spraydrift eigentlich ist und sein kann? Nachdem sich Pestizide praktisch überall befinden, ist es da nicht eher unwahrscheinlich, dass sie sich so versprühen lassen, dass angrenzende Ökoflächen oder im Gemeinbesitz befindliche Natur nicht kontaminiert werden?

Mit schärferen, strengeren Regeln wären eine grosse Zahl von Fällen direkter Kontamination durch Spraydrift sicherlich zu verhindern. Diese Regeln würden den konventionellen Bauern aber durchaus unangenehme Pflichten und Kosten auferlegen, zum Beispiel sehr deutliche Abstandsflächen zu Nachbarn. Im Bereich der Gentechnik bzw. gentechnisch veränderter Pflanzen gibt es bereits Regeln, die deutlich weiter in diese Richtung gehen. Beim Pflanzenschutz sind wir allerdings noch weit davon entfernt. Vielleicht weil der Willen des Verbrauchers – und Wählers – hier auch bislang weniger deutlich spürbar war als im Gentechnik-Bereich. Vielleicht deuten aber die jüngsten Volksbegehren hier bereits eine Wende an? Denn eines ist unstrittig: Trotz aller Vorsorgemassnahmen führt das Spritzen von Pflanzenschutzmitteln immer auch zu einer ubiquitären Belastung der gesamten Umwelt. Einer der wichtigen Gründe, weshalb wir für 100% Bio kämpfen.

Hanspeter Schmidt, der sich in der letzten Ausgabe des Magazins zu diesem Thema geäussert hat, befürchtet, dass die neue Verordnung in den 16 deutschen Bundesländern und auch in den 28 EU-Mitgliedsstaaten unterschiedlich ausgelegt werden wird, was zu einer radikalen Ungleichbehandlung der Bio-Landwirte in Europa führen könnte. Wie siehst Du das?

Ja, unterschiedliche Auslegung der Verordnung sowohl zwischen Bundesländern als auch EU-Mitgliedsstaaten ist ein Fakt. Das gilt aber für EU-Recht eigentlich immer und auch schon für die bestehende Verordnung. Das führt einerseits zu Wettbewerbsverzerrungen, sorgt teilweise aber auch für eine angemessene Anpassung des gemeinsamen Rechts an die regional unterschiedlichen Verhältnisse von Finnland bis Malta.

Wir hätten uns an einigen Stellen mehr Harmonisierung gewünscht. So ist es z.B. so, dass Länder wie Italien und Belgien, die nationale Grenzwerte schon seit einigen Jahren eingeführt haben, diese auch beibehalten dürfen und damit die unterschiedlichen Ansätze im Umgang mit Kontaminationen in Europa fortgesetzt werden dürfen. Der Spielraum wird vom neuen Bio-Recht aber an manchen Stellen auch beschränkt. So soll bis 2035 überall biovermehrtes Saatgut eingesetzt werden. Bislang sind die Bemühungen dafür in den Mitgliedsstaaten sehr unterschiedlich, manche Länder haben nicht einmal eine gut gepflegte Saatgut-Datenbank, obwohl diese Auflage schon seit vielen Jahren in der Öko-Verordnung verankert ist. Länder wie Deutschland und die Niederlande gehen sogar noch weiter und haben nationale Listen für Sorten, die nur noch aus Öko-Vermehrung stammen dürfen und für die deshalb keine Ausnahmegenehmigungen mehr möglich sind. Wir hoffen, dass die neuen Vorgaben einen stärkeren Anreiz innerhalb der EU setzen, dass jedes Land sich um mehr ökovermehrtes oder ökogezüchtetes Saatgut bemühen muss.

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In Deutschland drängen wir von Seiten des BÖLW gegenüber den Bundesländern auf gemeinsame Interpretationen und sind dazu im ständigen Austausch mit den zuständigen Ministerien und Behörden. Du siehst also, wir setzen uns konkret dafür ein, dass unsere Bäuerinnen und Bauern aber auch Unternehmen der Verarbeitung und des Handels unter möglichst gleichen Rahmenbedingungen arbeiten können, egal wo ihr Betrieb ist.

Du bist auch Vorstandssprecher von Demeter Deutschland. Wie begleitet und unterstützt der Verband seine Mitglieder im Hinblick auf die Einführung der neuen EU-Verordnung?

Aktuell steht noch die Arbeit an den Rechtsakten, die die neue Basisverordnung ergänzen, und deren konstruktiv-kritische Begleitung im Vordergrund. D.h. wie die Details der Umsetzung aussehen, wissen wir an vielen Stellen noch gar nicht. Entscheidend ist daher zunächst, dass diese Bestimmungen sinnvoll gestaltet werden und hier steckt der Teufel noch im Detail. Dabei sind die Regeln für Landwirtschaft und Verarbeitung schon relativ weit gediehen, die Diskussionen um die Kontroll- und Import-
regeln beginnen gerade erst. Sobald klar ist, welche konkreten Änderungen auf die Betriebe im Vergleich zur aktuellen Praxis zukommen, werden wir ihnen das in einer aufbereiteten Übersicht zukommen lassen. Dort, wo es notwendig ist, ist unser über 40-köpfiges Beraterteam zur Stelle und unterstützt bei der Umsetzung.

Kritiker betonen insbesondere die Risiken, die mit der Einführung der neuen EU-Verordnung nicht nur auf die Bauern, sondern auf die gesamte Bio-Branche zukommen. Siehst Du in der neuen Verordnung auch Chancen, und wenn ja, welche sind das?

Insgesamt ist das Ergebnis, gemessen an dem enorm hohen Aufwand der von Kommission, Parlament, Ministerien und Wirtschaftsvertretern über fünf Jahre hinweg geleistet wurde, ernüchternd. Auf der Haben-Seite stehen das Prinzip des bodengebundenen Anbaus auch im Gewächshaus, der stärkere Impuls in Richtung ökovermehrtem und ökogezüchtetem Saatgut einschliesslich heterogenem Material – das ist sehr wichtig für die Erhaltung der Artenvielfalt. Der Geltungsbereich wurde nachgeschärft, sodass z.B. Bienenwachs jetzt klar unter die Öko-Verordnung fällt. Diese Aspekte sind bereits in der Basisverordnung geregelt. Viele weitere Entwicklungsaspekte – wie die Grössen für Ställe und Ausläufe, zugelassene Betriebsmittel und Zusatz- und Hilfsstoffe für die Lebensmittelherstellung – werden erst mit den Rechtsakten festgelegt werden. Im Bereich Tierhaltung hätten wir uns mehr erhofft. Es ist absehbar, dass die Vorgaben für Ställe und Ausläufe für Wiederkäuer und Schweine weitgehend unverändert übernommen werden. Für Geflügelbetriebe gibt es künftig zwar einheitlichere Bestimmungen, allerdings ist absehbar, dass auf viele Geflügelbetriebe in Deutschland Änderungen zukommen werden. EU-weite Regeln für Kaninchen und Wild sind neu in die Öko-Verordnung aufgenommen worden.

Diese Verordnung betrifft ja alle Bio-Bauern und somit auch alle Bio-Verbände. Findet diesbezüglich ein Austausch und eine Abstimmung statt? Gibt es Interpretationsunterschiede zwischen den einzelnen Verbänden und wenn ja, welche?

Nein, es gibt keine Interpretationsunterschiede zwischen den Verbänden. So divers die Bio-Verbandssituation in Deutschland ist, so eng stehen wir in der politischen Lobbyarbeit und insbesondere, wenn es um das Bio-Recht geht, zusammen. Dafür sind wir im BÖLW organisiert und stimmen uns hier zu allen Fragen ab. Aber selbst auf EU-Ebene, wo durch unterschiedliches Klima, Landbauhistorie und Ernährungskultur Unterschiede bestehen, zum Beispiel bei Tierhaltungs- oder Gemüsebausystemen, stimmen wir uns in der IFOAM-EU-Gruppe eng ab und positionieren uns gemeinsam.

Der Bodenfruchtbarkeitsfonds arbeitet auch mit Partnerbetrieben in der Schweiz zusammen. Insbesondere für Unternehmen, die Bio-Ware in die EU liefern, wäre wichtig zu wissen, ob sich für sie durch die neue EU-Bio-Verordnung etwas ändern wird. Kann man dazu schon etwas sagen?

Mit letzter Gewissheit kann man leider noch nichts sagen. Die Verhandlungen über die Rechtsakte zu Importen beginnen erst und die Umsetzung der neuen Importregelungen dauert noch länger. Bislang ist die Schweiz nach der geltenden Verordnung ein anerkanntes Drittland. Ab 2026 wird es diese Liste anerkannter Drittländer nicht mehr geben und die Schweiz muss bis dahin ein neues Handelsabkommen mit der EU abschliessen. Dieses ist frei verhandelbar, muss aber künftig ermöglichen, dass nicht nur die Schweiz in die EU importieren darf, sondern auch umgekehrt die EU in die Schweiz. Ob dieses Handelsabkommen tatsächlich zustande kommt und was dann dort drin steht, ist selbstverständlich noch offen. Wir gehen aber davon aus, das die EU ein Interesse an einem solchen Abkommen mit der Schweiz haben wird und dass es dann auch in ähnlicher Weise für die Schweizer Bauern und Unternehmen weitergehen könnte, aber ein Stück weit bleibt das noch abzuwarten.
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Bio-Bauern beklagen sich häufig darüber, dass konventionelle Landwirtschaft von der Politik bevorzugt behandelt wird, eben zum Beispiel dadurch, dass konventionelle Betriebe einen Teil ihrer Kosten externalisieren dürfen. 

Die Verbraucher zahlen dadurch nicht die Gesamtkosten für die Herstellung von Billigwurst an der Ladenkasse, sondern ein Teil dieser Kosten wird auf die Allgemeinheit abgewälzt. Das ist natürlich staatlich organisierte Wettbewerbsverzerrung zugunsten des konventionellen Landbaus und ausserdem Täuschung der Öffentlichkeit. Wie ist Dein Gesamteindruck: wird die konventionelle Landwirtschaft gegenüber dem Ökolandbau von der Politik bevorzugt behandelt und wenn ja, an welchen Stellen nimmst Du eine solche Bevorzugung wahr?

Das Schlimme ist, dass es eine enge Verquickung der konventionellen Bauernlobby, der Agrarindustrie und Abgeordneten gibt. Letztlich werden also gar nicht die langfristigen Interessen der Bauern, sondern die der Industrie vertreten. Und weil es traditionell wichtige Wählergruppen sind, schützt die Politik – mit Unterschieden je nach Partei und Regierung – z.T. mit Vehemenz das konventionelle System. Und das, obwohl eigentlich längst klar ist, dass es sich in einer Sackgasse befindet. Was beispielsweise in Deutschland hoffnungsvoll stimmt, ist, dass in einigen Bundesländern – quer über alle Parteien hinweg – die Landesregierungen den Ökolandbau stark oder sogar bevorzugt fördern. Dieser steuernde Effekt hin zu einer nachhaltigen, ökologischen Landwirtschaft muss aber insgesamt, besonders auch durch die Agrarpolitik der EU, sehr viel stärker und konsequenter umgesetzt werden.

Lieber Alexander, wir danken Dir für das Gespräch und wünschen für die weiteren Verhandlungen alles Gute und viel Erfolg!

AGAlexander Gerber ist hauptamtlicher Vorstand des Demeter e.V. und
Vize-Präsident von Demeter-International. Im Vorstand des BÖLW
(Bund ökologischer Lebensmittelwirtschaft) vertritt er die ökologischen
Erzeugerverbände. Der BÖLW ist die politische Vertretung aller
deutschen Bio-Verbände aus Landwirtschaft, Verarbeitung und
Handel. Der BÖLW setzt sich gegenüber der Bundesregierung für
eine angemessene Förderung von Ökobetrieben und gute
rechtliche Rahmenbedingungen für die Ökologische
Lebensmittelwirtschaft ein. Sein Ziel ist, dass EU-Zahlungen an die
Landwirtschaft künftig an Umwelt-, Tier- und Klimaschutzmassnahmen
gebunden sind.

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